Mit seinem Vorschlag einer Insolvenz Griechenlands bringt der FDP-Chef sogar Kanzlerin Merkel gegen sich auf. Die stutzte ihn zurecht.

Berlin. Philipp Rösler hat sich entschieden. Jetzt will er nicht schon wieder über Griechenland reden und erst recht nicht das Wort der geordneten Insolvenz in den Mund nehmen. Jetzt, am Tag eins nach seinem umstrittenen Vorschlag, Griechenland im Notfall zum Wohle der Euro-Stabilisierung in die Insolvenz zu schicken, hat er ein anderes Thema.

Im Festsaal seines Ministeriums steht der Chef des Wirtschaftsressorts am Rednerpult und spricht über "grenzüberschreitendes Denken, Handeln und Wirtschaften", so eine seiner Formulierungen. Anlass dafür ist die Festveranstaltung "50 Jahre Bundesgarantien für ungebundene Finanzkredite". Rösler sagt, dass sich das sperrig anhört, diese "ungebundenen Finanzkredite", er zeigt dabei sein Spitzbubenlächeln, streut noch zwei, drei Scherze in die Rede. Rösler ist so, wie er in der Öffentlichkeit immer ist: fröhlich. Er lobt die offenen Märkte, den freien Handel, und er sagt noch viele korrekte Dinge, die man als Wirtschaftsminister grundsätzlich so sagen kann, ohne gleich den Koalitionspartner, die Kanzlerin oder die Märkte zu irritieren.

Der FDP-Vorsitzende hat dies am Vortag schon ausreichend getan. Und nein, Rösler werde das so erst einmal nicht wiederholen, heißt es in seinem Umfeld. Ein halbes Dutzend Kamerateams wartet also vergeblich bei der Festveranstaltung für die "ungebundenen Finanzkredite" darauf, dass der Vizekanzler das noch einmal sagt, dieses Wort der Insolvenz Griechenlands. Nach seiner Rede rauscht der Vizekanzler schweigend an den Kamerateams vorbei. Erst später wiederholt er gegenüber der "Rheinischen Post", dass er gegen "Denkverbote" und für "ehrliche Antworten" ist. Mehr gibt es an diesem Tag nicht zu sagen. Sollen doch die anderen die Deutung seiner Worte übernehmen.

Merkel rüffelt Rösler: Worte können Milliarden kosten

Griechen-Pleite: Rösler widersetzt sich Merkel

Und die fällt ausgerechnet bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vernichtend aus. Es gehe "um sehr, sehr viel", sagte Merkel am Morgen im RBB-Inforadio. "Und deshalb sollte jeder auch seine Worte sehr vorsichtig wägen." Eleganter kann man den eigenen Stellvertreter kaum zurechtstutzen. Aber die Lektion in politischer Krisenkommunikation ging noch weiter: Unruhe auf den Finanzmärkten könne man nicht gebrauchen, warnte die Kanzlerin. "Ich glaube, wir tun Griechenland den größten Gefallen, wenn wir wenig spekulieren, sondern Griechenland ermutigen, die Verpflichtungen auch umzusetzen, die es eingegangen ist." So musste Rösler gestern erstmals von der Kanzlerin lernen, dass auch für Vizekanzler Denkverbote gelten. So deutlich hatte Merkel selbst Guido Westerwelle nicht in den anderthalb Jahren abgekanzelt, in denen Röslers Amtsvorgänger als Vizekanzler ein ums andere Mal verbal über die Stränge geschlagen hatte.

Später am Tag, als Merkel den finnischen Ministerpräsidenten Jyrki Katainen in Berlin empfing, ging sie noch einmal auf Rösler ein. Und wieder war der Ordnungsruf unüberhörbar: Man müsse immer im Auge behalten, "dass wir alles, was wir tun, kontrolliert tun, dass wir die Folgewirkungen kennen, weil ansonsten im Euro-Raum sehr schnell eine Situation entstehen kann - wir arbeiten hier immerhin im Neuland eines Währungsverbundes -, die wir alle nicht wollen und die für uns alle sehr, sehr, sehr schwierige Folgen haben könnte".

Trotz der Ermahnungen der Kanzlerin: Das einmal Ausgesprochene bebte gestern heftig nach. So sehr, dass eine ganze Phalanx führender FDP-Politiker sich schützend vor den röslerschen Insolvenz-Vorstoß stellte. Der Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, konkretisierte sogar noch den Vorschlag. Die FDP im Europäischen Parlament habe bereits im Januar ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten unter Beteiligung privater Gläubiger gefordert, sagte Lambsdorff dem Abendblatt. "Daher unterstützen wir den Vorstoß von Philipp Rösler ausdrücklich. Wichtig dabei ist, dass der Weg in ein solches Verfahren der allerletzte Schritt ist", betonte er. Lambsdorff forderte festgesteckte Bedingungen für eine mögliche Griechen-Insolvenz: "Das Insolvenzverfahren für Staaten muss den Rahmen schaffen, der es einerseits erlaubt, die Probleme von Staaten zu lösen, die sich am Markt nicht mehr finanzieren können. Andererseits muss aber auch verhindert werden, dass es zu Ansteckungseffekten in der Euro-Zone kommt."

Bei aller liberalen Einigkeit bei diesem Thema - in der CDU fragte man sich gestern dennoch, was Rösler mit seinen Äußerungen bezwecken wollte. War es der gezielte Tabubruch, um den Druck auf die Griechen zu erhöhen? Oder nur ein beherzter Versuch, nach den Pleiten bei Landtags- und Kommunalwahlen mit einer Prise Populismus die liberale Volksnähe unter Beweis zu stellen? Anders als die CDU sprach die Opposition ihre Zweifel am Sachverstand des Wirtschaftsministers klar aus. Rösler habe sich "als Wirtschaftsminister disqualifiziert", urteilte etwa SPD-Fraktionsvize Joachim Poß auf NDR Info. Derartige Aussagen seien "supergefährlich" und "ein Spiel mit dem Feuer".

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok warf Rösler vor, eine Insolvenz herbeizureden. "Die Pleite Athens ist die für Deutschland schlimmste und teuerste Lösung." Der finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Klaus-Peter Flosbach (CDU), warnte "vor einfachen Lösungen, denn wenn Panik an den Kapitalmärkten ausgelöst wird, wird der Schaden für uns alle viel schlimmer sein". Unverständnis auch bei Wirtschaftswissenschaftlern: Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, kritisierte, Rösler stelle eine Staatsinsolvenz als einfache Lösung dar. Aber bei der Bewältigung der Schuldenkrise handele es sich um die "Aufgabe einer Dekade".

Nur, so viel Zeit hat Rösler nicht mehr. Gerade die Aufgabe, sich und seine Partei innerhalb der Koalition wieder zu festigen, soll in den kommenden Monaten gelingen. Dieses Ziel hatte er sich selbst gesteckt, zuletzt nach dem Wahlfiasko in Mecklenburg-Vorpommern. Schon der kommende Sonntag droht für Rösler - sollten die Meinungsforscher recht behalten - ein erneuter Tiefpunkt in seiner noch jungen Karriere als Parteivorsitzender zu werden. Bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin gilt der Wiedereinzug der FDP ins Parlament als ziemlich unwahrscheinlich.