Experten erklären die möglichen Folgen der Griechenland-Krise für Finanzmärkte und Steuerzahler in Europa und Deutschland.

Hamburg. Griechenlands Finanzlage wird immer bedrohlicher und selbst der Berliner Regierungskoalition geht nun offenbar die Geduld aus. So hatte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am Wochenende eine geordnete Insolvenz Athens nicht mehr ausgeschlossen und damit die Aktienmärkte gestern auf Talfahrt geschickt. Selbst über einen Ausschluss des Landes aus der Währungsunion diskutieren die Politiker. Vor diesem Hintergrund beantwortet das Abendblatt die wichtigsten Fragen zur Griechenland-Krise

Sparen die Griechen tatsächlich noch nicht genug?

Zwar habe die Regierung in Athen "das wohl härteste Reformprogramm eines westlichen Staates seit dem Zweiten Weltkrieg" beschlossen, sagte Christian Schulz, Volkswirt beim Hamburger Privatbankhaus Berenberg. "Aber die Umsetzung scheint nicht so zu funktionieren, wie sich das die EU, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) vorstellen." Offiziell verweise Athen darauf, dass die heimische Wirtschaft stärker eingebrochen ist als erwartet und daher die Steuereinnahmen niedriger sind als geplant.

"Griechenland hatte für 2010 ein Defizit von 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemeldet und versprochen, es in diesem Jahr auf 7,6 Prozent zu drücken", erklärte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. "Tatsächlich steigt das Defizit aber sogar, Griechenland könnte auf ein Defizit von zwölf Prozent kommen." Ein ernüchterndes Urteil fällt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Barclays Capital in Deutschland: "Solange die Staatsausgaben höher sind als die Einnahmen, kann man nicht von Sparen sprechen. Es zeigt sich kein Fortschritt."

Wovon hängt es ab, ob Griechenland pleitegeht?

"Würden die anderen Euro-Länder und der IWF den Hahn zudrehen, wäre es wohl eine Frage von Wochen, bis Griechenland seine Verpflichtungen gegenüber den Investoren nicht mehr erfüllen kann", sagte Krämer. Denn, so Schulz, die einzelnen Tranchen aus den Hilfspaketen orientierten sich am Umfang der Refinanzierung Athens am Kapitalmarkt für den jeweiligen Zeitabschnitt. Dabei spiele Deutschland eine zentrale Rolle, sagte Polleit: "Alles schaut darauf, wie der Bundestag beschließt, wenn es um die Freigabe weiterer Griechenland-Hilfen und eine Aufstockung des europäischen Rettungsschirms geht."

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Wie wahrscheinlich ist eine Insolvenz Griechenlands?

"Eine Staatspleite Griechenlands ist nicht unser Hauptszenario, aber das Risiko ist deutlich gestiegen", meint Krämer. "Denn viele Beobachter glauben nicht mehr, dass die Regierung in Athen die Staatsfinanzen stabilisieren kann. Damit wächst die Gefahr, dass man in anderen europäischen Hauptstädten die Geduld verliert." Nach Einschätzung von Schulz gibt es aber durchaus noch Hoffnung für die Griechen: "Bisher ist die Euro-Gruppe immer davor zurückgeschreckt, das ganz große Chaos loszutreten."

Was würde eine Staatspleite für Europa und für Deutschland bedeuten?

Würde Griechenland insolvent, wäre ein deutlicher Schuldenschnitt nach Auffassung der Experten die direkte Folge. "Ein Totalausfall für die Investoren ist allerdings sehr unwahrscheinlich", so Polleit. "Das wäre ein Erdbeben." Der Barclays-Volkswirt hält einen Verlust von gut 30 Prozent für realistisch, womit Athen auf eine Schuldenstandsquote von etwa 100 Prozent des BIP käme.

Nach jüngsten Zahlen halten private Investoren in Europa noch griechische Staatsanleihen von rund 90 Milliarden Euro. Etwas mehr als die Hälfte davon liege bei griechischen Geldhäusern, erklärte Schulz. "Im ersten Schritt gerieten die griechischen Banken in massive Schwierigkeiten und die EZB müsste erhebliche Liquiditätsspritzen bereitstellen, um zu verhindern, dass die Krise auf andere Länder wie Portugal, Irland oder Italien überspringt", sagte Krämer.

Zudem erhielte Athen auf Jahre hinaus kein Geld mehr vom Kapitalmarkt. "Die Steuereinnahmen reichen aber nicht einmal aus, um die laufenden Ausgaben zu decken", so Schulz. "Griechenland wäre also weiter auf finanzielle Hilfen von den europäischen Partnern angewiesen. Ob das so viel besser ist, als den Griechen jetzt noch etwas mehr Zeit für ihr Reformprogramm zu geben, ist sehr fraglich."

Denn die Ansteckungsrisiken seien schwer kalkulierbar: "Wenn in der Folge auch Spanien oder Italien keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt hätte, würde es sehr teuer für die Steuerzahler im übrigen Europa." Auf einen solchen Fall sei man ohnehin nicht vorbereitet: "Es gibt keinen politisch durchsetzbaren Rettungsfonds, der so groß wäre, dass man Italien auffangen könnte", ist Schulz überzeugt.

Ist ein Ausschluss oder ein Austritt aus der Währungsunion möglich?

"In den Vertragswerken ist weder ein Ausschluss noch ein Austritt eines Landes aus der Währungsunion vorgesehen", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer dazu. "Faktisch müsste ein Staat den Austritt selbst erklären." Polleit warnt jedoch davor, der aktuellen Rechtslage allzu viel Bedeutung beizumessen: "Auch die Klausel, dass kein Euro-Land einem anderen finanziell helfen darf, war rechtlich verbindlich." Bekäme Griechenland eine neue Währung - etwa die Drachme -, würde diese gegenüber dem Euro drastisch abwerten, was zwar der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zugutekäme, sagte Polleit. Aber dafür würde es für Athen noch schwieriger, die Altschulden - die weiter in Euro bestehen - zurückzuzahlen.

Eindeutiger lägen die Dinge jedoch aus der Perspektive der Steuerzahler in den übrigen Euro-Staaten, meint Krämer: "Langfristig gesehen wäre eine Währungsunion ohne Griechenland stabiler, aber die Übergangsphase wäre risikoreich."