Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) äußert sich gegenüber dem Abendblatt über neue Wege zur Terrorbekämpfung.

Hannover. Otto Schily und Günther Beckstein sind im politischen Ruhestand, Wolfgang Schäuble hat das Ressort gewechselt. Jetzt profiliert sich Uwe Schünemann als Deutschlands härtester Innenminister. Der niedersächsische CDU-Politiker erklärt im Abendblatt-Interview seine Strategie für mehr Sicherheit.

Hamburger Abendblatt: Herr Schünemann, wo waren Sie am 11. September 2001, als Sie vom Angriff auf Amerika erfahren haben?

Uwe Schünemann: Ich war in einer Firma in meinem Heimatlandkreis Holzminden und habe Wirtschaftsgespräche geführt. Plötzlich kam ein Mitarbeiter und hat die Attentate geschildert. Wir haben uns einen Fernseher in den Besprechungsraum bringen lassen und anderthalb Stunden fassungslos davorgesessen.

Ist die Welt seither sicherer geworden?

Schünemann: Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus kann heute wirkungsvoller geführt werden. Unsere Sicherheitsbehörden sind besser aufgestellt als vor zehn Jahren. Eine besondere Gefahr geht von radikalisierten Einzeltätern aus, die sehr kurzfristig und mit einfachsten Mitteln zuschlagen können. Das hat der Anschlag in Frankfurt gegen US-Soldaten im Frühjahr deutlich gezeigt. Die Sicherheitsbehörden haben kaum die Möglichkeit, so etwas zu verhindern.

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Ist es noch möglich, dass Islamisten in einem Hamburger Stadtteil einen Anschlag im Weltmaßstab vorbereiten?

Schünemann: Bin Ladens Tod hat den Kern von al-Qaida geschwächt. Es gibt aber weiterhin regionale Netzwerke, die terroristische Großanschläge mit vielen Opfern organisieren können. Glücklicherweise funktioniert die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Denn eines fällt auf: Wenn wir entscheidende Hinweise bekommen, dann meist von ausländischen Nachrichtendiensten, weniger vom Bundesnachrichtendienst.

Sie sind unzufrieden mit dem BND?

Schünemann: Jedenfalls gibt es einigen Nachholbedarf. Der BND muss die Chance haben, seine Leistungsfähigkeit mehr als bisher unter Beweis zu stellen.

Welche Bedeutung hat Hamburg für die islamistische Szene?

Schünemann: Hamburg ist immer besonders im Fokus gewesen. Aber die Sauerlandgruppe, die Düsseldorfer Terrorzelle und jetzt der Berliner Fall zeigen, dass die Hansestadt nicht das alleinige Zentrum ist. Es gibt islamistische Gefährder in allen Bundesländern.

Wie viele sind es in Norddeutschland?

Schünemann: Bundesweit gibt es etwa 1000 gewaltbereite Islamisten, rund 130 von ihnen werden als Gefährder eingestuft - als Personen, die Anschläge verüben können. In den nördlichen Bundesländern leben etwa 20 bis 25 Gefährder.

Wie verhalten sich die ehemaligen Häftlinge aus Guantánamo, die in Hamburg und Rheinland-Pfalz aufgenommen wurden?

Schünemann: Der Innenministerkonferenz liegen keine Hinweise auf ein Sicherheitsrisiko vor. Niedersachsen bleibt aber bei seiner Haltung, keine Guantánamo-Häftlinge aufzunehmen. In erster Linie ist es Sache der Amerikaner, diese Leute in ihrem Land unterzubringen. Es gibt außerdem Häftlinge, die sich nach ihrer Freilassung wieder in der islamistischen Szene betätigen. Eine grundsätzliche Gefahr ist also da.

Wie sollen Gefährder überwacht werden?

Schünemann: Mit allen Mitteln, die den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehen. Observationen von Gefährdern finden jetzt schon statt. Diese erfordern allerdings viel Personal. Wir brauchen Kontrollstellen an Orten, an denen gewaltbereite Islamisten regelmäßig verkehren. Auch elektronische Fußfesseln für Personen, von denen eine besondere Gefahr ausgeht, dürfen kein Tabu sein. Operative Maßnahmen allein reichen aber nicht. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Strategie gegen Radikalisierung.

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Was schwebt Ihnen vor?

Schünemann: Es kommt vor allem auf Prävention an, die gemeinsam mit den Moscheegemeinden erarbeitet werden muss. Die Kooperation von Muslimen mit den Sicherheitsbehörden muss deutlich intensiviert werden. In Niedersachsen sind wir dabei, eine Vertrauensbasis aufzubauen - und ein Netzwerk mit Ansprechpartnern zu knüpfen, an die sich Muslime wenden können, wenn sich Menschen in ihrer Umgebung verdächtig verhalten. Daran sollte sich der Bund orientieren.

Gibt es Momente, in denen Sie die amerikanischen Sicherheitsbehörden um ihre weitreichenden Befugnisse beneiden?

Schünemann: Ich wäre schon zufrieden, wenn wir endlich die Vorratsdatenspeicherung wieder zur Verfügung hätten.

Warum ist die so wichtig?

Schünemann: Die Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten ist wesentlicher Bestandteil der Terrorabwehr. 16 Monate nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesjustizministerin immer noch keinen vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt. Das ist Arbeitsverweigerung. Hier besteht eine Sicherheitslücke. Die Bedrohungslage ist so, dass wir nicht mehr lange auf die Vorratsdatenspeicherung warten können. Es ist peinlich genug, dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, weil sich Deutschland nicht bewegt.

Das Bundesverfassungsgericht hat es untersagt, Flugzeuge abzuschießen, die von Terroristen entführt wurden. Ebenfalls eine Sicherheitslücke?

Schünemann: Es geht nicht nur um Luftsicherheit, sondern auch um Seesicherheit. Ich halte es dringend für notwendig, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, um in außergewöhnlichen und existenziellen Notlagen handeln zu können. Voraussetzung ist, dass sich keine Passagiere an Bord befinden.

Was ist mit Passagiermaschinen wie am 11. September?

Schünemann: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird eine rechtliche Regelung solcher Fälle schwierig. Am Ende müssen diejenigen abwägen, die Verantwortung tragen vor Ort.

Sollte die Verfassung geändert werden, um die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland zu erweitern?

Schünemann: Der Einsatz von militärischen Mitteln bei der Terrorabwehr im Innern kann nur die Ultima Ratio sein. Aber in Bedrohungslagen, in denen die Polizei eindeutig an ihre Grenzen stößt, darf ein Einsatz der Bundeswehr nicht ausgeschlossen sein. Dafür brauchen wir eine Klarstellung im Grundgesetz. Stellen Sie sich vor: Ein Anschlag hat schon stattgefunden, und es gibt Hinweise auf weitere Attentate. Da wäre es doch fahrlässig, die Bundeswehr außen vor zu lassen. Die Soldaten könnten wirksam gefährdete Objekte schützen.

Dafür werden Sie keine Mehrheit finden.

Schünemann: Im Augenblick ist eine Mehrheit nicht in Sicht. Aber ich werde nicht müde, mich für den Einsatz der Bundeswehr im Innern einzusetzen.