Westerwelle schien abgetaucht, nun bezieht er wieder Prügel. Nicht nur in der Libyen-Politik wirkt der frühere FDP-Chef zunehmend isoliert.

Berlin. Weit weg von Berlin, im Nordosten dieses Landes, im schmucken Kurhaus-Hotel des Rügener Badeorts Binz, ist Guido Westerwelles Welt noch in heiler Ordnung. Kaum betritt er die Lobby, brandet Applaus auf. Spontan klatschen ihm einige ältere Hotelgäste zu. Der Außenminister lässt sich nicht anmerken, ob ihn die Geste überrascht. Eigentlich müsste er jetzt den Konferenzsaal betreten, um mit seinen Amtskollegen aus den baltischen Staaten über die Stärkung der Ostseeregion zu sprechen. Aber Westerwelle steuert lieber strahlend auf das klatschende Grüppchen zu. "Sie haben es schön hier!", ruft er so laut, dass ihn auch alle in der großzügigen Lobby hören. Ein paar Fragen an die Touristen, dann ein lauter Abschiedsgruß. "Genießen Sie die Zeit! Alles, alles Gute!" Westerwelle und der öffentliche Applaus - diese Kombination wirkt ungewöhnlich in einer Phase, in der sich der Außenminister wieder einmal als Prügelknabe der Nation fühlen darf.

Das Amt des Vizekanzlers und das des FDP-Chefs ist er längst los, nur die Kritik an seiner Person und seiner Politik ist zurück: Die Opposition schimpft auf Westerwelles "deutschen Sonderweg" in der Libyen-Frage, Altkanzler Helmut Kohl rechnet grundsätzlich mit der neueren deutschen Außenpolitik ab, Bundespräsident Christian Wulff ist enttäuscht über die zögerliche Euro-Rettung, und jetzt macht sich auch noch in der FDP wieder die alte Unzufriedenheit mit Westerwelle breit.

So hält der ehemalige rheinland-pfälzische FDP-Wirtschaftsminister und Vizeregierungschef Hans-Artur Bauckhage, ein Urgestein der Liberalen, das politische Ende Westerwelles für unausweichlich. Dieser habe die FDP "zu einer unsympathischen Partei gemacht", sagte Bauckhage dem SWR. Der Außenminister trägt seiner Meinung nach die Hauptschuld an den noch immer schlechten Umfragewerten. "Herr Westerwelle müsste jetzt eigentlich anständig zurücktreten", forderte der langjährige liberale Minister.

Es war zwischenzeitlich Ruhe eingekehrt nach seiner Ablösung als FDP-Vorsitzender im Mai. Die Blicke richteten sich für eine Weile auf seinen Nachfolger Philipp Rösler, Westerwelle konzentrierte sich auf die einmonatige Präsidentschaft in der Uno und überließ das öffentliche Krisenmanagement um Euro und Verschuldung Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem neuen Vizekanzler. So vergingen drei, vier Monate, ohne dass die deutsche Öffentlichkeit fragte, wie es um den Außenminister eigentlich steht. Es waren beschauliche Monate, die Westerwelle so seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Wann immer er nun gefragt wurde, wie es ihm denn gehe, so als Nicht-mehr-Vizekanzler und Nicht-mehr-Parteivorsitzender, antwortete Westerwelle stets knapp mit einem gegrinsten "Gut". Dabei beließ er es. Opposition und Medien beließen es ihrerseits dabei, nicht weiter nachzufragen. Als Außenminister beantworte er von jetzt an ohnehin nur außenpolitische Fragen, verlautete stets warnend aus seinem Umfeld.

Von der trügerischen Ruhe um den Außenminister ist nun nichts mehr übrig. Die sich zuspitzende Lage in Libyen hat den Minister eingeholt, und das in einer Weise, wie sie ihm nicht gutgetan hat. Die Entscheidung gegen eine deutsche Beteiligung am internationalen Militäreinsatz und für eine Enthaltung bei der Libyen-Resolution im Uno-Sicherheitsrat hatte Westerwelle schon im März in Bedrängnis gebracht.

An der Seite Russlands und Chinas, Brasiliens und Indiens stand Deutschland auf einmal - und nicht mehr an der Seite der vertrauten Partner Amerika, Großbritannien und Frankreich. Prompt hieß es, die Isolierung Deutschlands in der westlichen Welt sei ein diplomatisches Fiasko für Berlin und für Westerwelle persönlich. Nun aber ist man sich einig, dass der Nato-Einsatz als Erfolg zu werten ist, zumal er ohne Bodentruppen ausgekommen sei. Aber Westerwelle - ob im fernen Binz gefragt oder im vertrauten Auswärtigen Amt - muss im Tagestakt seine damalige Entscheidung rechtfertigen. "Ich würde sie wieder so fällen", gibt er monoton zu Protokoll.

Kopfschütteln erntet Westerwelle vor allem, weil er die deutsche "gezielte Sanktionspolitik" als Beitrag zum nahenden Ende des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi hält. SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich klagte gestern, "jetzt einen vermeintlich bedeutenden Anteil Deutschlands am Zusammenbruch des Regimes für sich in Anspruch zu nehmen", wie es der Außenminister tue, sei peinlich und angesichts der dramatischen Bilder anmaßend. Damit werde die deutsche Außenpolitik zunehmend "zur Posse". Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von einem "irrlichternden" Westerwelle und riet der Kanzlerin zu überdenken, "ob das Amt des Außenministers in der Bundesrepublik angesichts der fundamentalen Herausforderungen angemessen besetzt ist". Und der liberale Ex-Innenminister Gerhart Baum bezeichnete Westerwelle in Sachen Libyen als "rechthaberisch". Beistand aus der FDP gibt es keinen.

Der Gescholtene will sich aber auch von seinem Kurs nicht abbringen lassen. Auch als er mit der Kritik Helmut Kohls an der "orientierungslosen" Außenpolitik konfrontiert wird, gibt sich Westerwelle unbeeindruckt. Er betont die Konstanten der deutschen Außenpolitik, zu denen neben der Pflege alter Partnerschaften nun mal auch die Gründung neuer Partnerschaften gehöre. Und Westerwelle, der sich noch im April vom renommierten Politologen Christian Hacke als selbstgerecht auftrumpfend, feige wegduckend und als "der bornierteste Außenminister seit von Ribbentrop" beschimpfen lassen musste, meint es ernst damit. Wie kaum ein Amtsvorgänger zuvor besucht und empfängt er Repräsentanten kleiner Länder. Staaten, die im internationalen Politiktableau als Außenseiter gelten, will er aufwerten.

Dass er in einer Woche, in der es kaum andere Themen als Libyen und die Euro-Rettung gibt, sich extra viel Zeit für seine Amtskollegen aus Estland, Lettland und Litauen nimmt und nach dem Arbeitstreffen in Binz noch Zeit für einen Spaziergang auf der Promenade findet, soll diese Haltung unterstreichen. Doch die Achtung für den eigenwilligen Stil will in der Öffentlichkeit nicht wachsen. Auf der Liste der beliebtesten Politiker rangiert der Außenminister weiter auf dem letzten Platz. Der spontane Applaus in der Binzer Hotellobby erscheint da wie eine Ausnahme. Aber Binz ist nicht Berlin.