Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) fordert eine scharfe Überwachung der Partei durch den Verfassungsschutz.

Berlin. Auf der Internetseite der Zeitung "Junge Welt", die sich just zum 50. Jubiläum des Mauerbaus auf ihrer Titelseite für Ulbrichts Bollwerk bedankte, schaltet die Bundestagsfraktion der Linken regelmäßig Anzeigen. Dort findet sich ein roter Balken mit der Zeile "Hier spricht die Opposition". Geworben wird beispielsweise für ein Sommerinterview mit Parteichef Klaus Ernst, in dem er einen Mindestlohn verlangt. Doch solche Forderungen gehen im Wahlkampf der Linken in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern völlig unter, weil dieser durch eine Kontroverse über den Mauerbau überschattet wird.

Die Kovorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, versucht nun, die Wogen zu glätten. "Das Titelblatt hat viele verärgert und erschreckt", sagte Lötzsch gestern vor der Fraktionstür im Reichstag. Erst auf Nachfrage wurde sie deutlicher: "Ich halte die Titelseite für nicht akzeptabel." Allerdings könne man sie nach ganz vielen Zeitungen und Artikeln fragen, auf die sie auch keinen Einfluss habe. Die "Junge Welt" sei eine Zeitung, die "von der Linken weder redaktionell noch sonstwie beeinflusst wird". Die Partei verfüge über "keinerlei Anteile".

Hier erfahren Sie Hintergründe zum Mauerbau!

Tatsächlich stehen namhafte Linken-Politiker wie Lötzsch selbst oder Bodo Ramelow stets gern für Interviews des Blatts zur Verfügung. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke schreibt regelmäßig für die "Junge Welt", deren Innenpolitik-Ressort sie von 2003 bis 2005 leitete. Angesichts solcher Verflechtungen ist der Einfluss der Zeitung auf die Partei kaum zu unterschätzen. Anfang des Jahres erst hatte die "Junge Welt" der Linken mit ihrer Rosa-Luxemburg-Konferenz zum Thema: "Wo bitte geht's zum Kommunismus" eine lange Kommunismusdebatte aufgezwungen.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth fordert die Parteispitze der Linken wegen der Titelgeschichte zum Mauerbau auf, die "Junge Welt" ab sofort nicht mehr zu unterstützen. "Die Fraktionsführung unter Gregor Gysi muss sämtliche Zahlungen an die Zeitung einstellen. Hier wird über die Fraktion Steuergeld für Online-Anzeigen verschleudert." Der Liberale aus Thüringen, der sich energisch für die Aufarbeitung der SED-Diktatur einsetzt, findet das Finanzgebaren der Fraktion "politisch und moralisch höchst verwerflich".

Lötzsch berichtet, dass bezahlte Anzeigen für die "Junge Welt", die seit Jahren vom Verfassungsschutz ausgewertet wird, auch unter Fraktionskollegen bereits Unmut auslösen: "Es gibt Abgeordnete, die das schon in die Diskussion gebracht haben." Kritik an der Glorifizierung der Mauer übte auch Roland Jahn, Chef der Stasi-Unterlagenbehörde. Er sagte der "Welt": "Die Titelseite der ,Jungen Welt' zum 13. August zeigt, wie wichtig Aufklärung über den Unrechtsstaat DDR ist." Aus den Akten wisse man, dass die Staatssicherheit systematisch im Sinne der SED-Propaganda das Schicksal der Mauertoten vertuscht habe "Offensichtlich stellt sich die ,Junge Welt' in die Tradition derer, denen Ideologie wichtiger ist als das Leben von Menschen", erklärte Jahn.

Angesichts der unklaren Haltung der Linken zum Mauerbau bezweifeln SPD und Grüne nun ausgerechnet kurz vor den wichtigen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin die Regierungsfähigkeit der Partei. Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sagte, die Linke zeige "ein erschreckend geschichtsvergessenes Gesicht". Offenbar würden in der Partei immer stärker jene Kräfte die Oberhand gewinnen, "die ein romantisch verklärendes Verhältnis zur DDR haben". Über diese Haltung dürften Koalitionspartner wie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) oder potenzielle Wunschpartner wie Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) in Mecklenburg-Vorpommern nicht milde lächelnd hinwegsehen, meinte Lemke.

Die Mauer-Debatte in der Linken führt aber auch in der Sozialdemokratie zu einem Richtungsstreit. Während SPD-Chef Sigmar Gabriel die Rechtfertigungsversuche von Linken-Politikern für den Mauerbau scharf kritisierte und vor diesem Hintergrund eine rot-rote Koalition im Bund als "undenkbar" bezeichnete, wollen sich andere Sozialdemokraten diese Option offen halten. Der Vorsitzende der Jungsozialisten, Sascha Vogt, warnte vor voreiligen Festlegungen. "Koalitionsfragen im Bund stellen sich in zwei Jahren", sagte Vogt der "Welt". Allerdings glaube er ebenso wie Gabriel, dass die Linke in den nächsten Jahren hinsichtlich des Umgangs mit dem Mauerbau und dem SED-Regime einiges zu klären habe.

Ob die Linke das schnell schafft, darf man bezweifeln. Denn kurz vor dem 40. Jahrestag des Mauerbaus vor zehn Jahren, erklärte der Parteivorstand schon einmal, die PDS habe "sich vom Stalinismus der SED unwiderruflich befreit". Das glaubt kaum jemand. Die Bundes-SPD macht jetzt ein klares Nein zum Mauerbau zur Bedingung für Rot-Rot in den Ländern. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte eine klare Distanzierung: "Das ist nicht verhandelbar." Sie sieht eine "Bringschuld" der Linkspartei nicht nur gegenüber möglichen Koalitionspartnern, sondern auch gegenüber den Maueropfern und deren Angehörigen. Niedersachsens Innenminister Schünemann (CDU) fordert nun eine scharfe Beobachtung der linksextremistischen Szene durch den Verfassungsschutz. "Der Beitrag der ,Jungen Welt' macht einmal mehr deutlich, wie wichtig es ist, dass der Verfassungsschutz die linksextremistische Szene scharf in den Blick nimmt", sagte Schünemann der "Welt". Er zeigt sich empört über die Mauer-Danksagung: "In dem Text wird die Mauer und damit das Symbol von Diktatur und Unfreiheit in alter Politbüro-Manier als vermeintliche Errungenschaft des SED-Unrechtsstaates gefeiert." Das bedeute nichts anderes als die Verhöhnung der Mauertoten und weiterer Opfer der totalitären DDR-Diktatur, sagte der niedersächsische Innenminister.