In Berlin erinnern an der Bernauer Straße Reste der Mauer, Fundamente gesprengter Häuser und Fluchttunnel an das DDR-Grenzregime.

Berlin/Rostock. Fahnen auf halbmast, mahnende Worte und eine Schweigeminute: Deutschland hat am Sonnabend der Opfer des Mauerbaus vor 50 Jahren gedacht. Bundespräsident Christian Wulff rief in Berlin dazu auf, weltweit für Demokratie und Menschenrechte einzutreten. „Die Erinnerung an das Unrecht der Mauer mahnt uns, diejenigen nicht allein zu lassen, die für Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte kämpfen“, sagte das Staatsoberhaupt beim zentralen Gedenken auf dem früheren Todesstreifen an der Bernauer Straße. „Und sie verlangt von uns, dafür zu sorgen, dass sich Geschichte nicht wiederholt.“

Wulff erinnerte auch an den Fall der Mauer am 9. November 1989. „Einmal mehr hat sich gezeigt: Am Ende ist die Freiheit unbesiegbar.“ Auch jetzt seien Veränderungen notwendig. Dazu gehöre, Zuwanderer besser zu integrieren.

Mehrere Gedenkredner warnten auch vor einer Verharmlosung des Mauerbaus. Zuletzt war die Debatte nach Äußerungen der Linken-Chefin Gesine Lötzsch neu aufgeflammt. Dieser Streit bestimmte ausgerechnet am Jahrestag des Mauerbaus auch einen Landesparteitag der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, wo eine Handvoll der 100 Delegierten bei einer Schweigeminute für die Maueropfer demonstrativ sitzen blieb. Das DDR-Grenzregime hatte allein in Berlin mindestens 136 Menschen das Leben gekostet.

An der Gedenkveranstaltung in Berlin nahm auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) teil, die aber nicht auf der Rednerliste stand. Der Nachrichtenagentur dpa sagte sie: „Wir dürfen den 13. August 1961 und das Leid, das er über Millionen von Menschen gebracht hat, nie vergessen. Das Unrecht des Mauerbaus mahnt uns bis heute, bei uns zu Hause und weltweit für Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte einzutreten.“ Der Mauerfall mehr als 28 Jahre nach der Zementierung der deutschen Teilung „hat meinem und Millionen von Leben eine Wendung zum Guten gegeben“.

Der Bundespräsident kritisierte, dass sich vor der Wende im Westen viele mit der Teilung abgefunden hätten. Diese Gleichgültigkeit sei beschämend. Heute sei vielen der verbrecherische Charakter der DDR-Macht nicht bewusst. „Es wird verklärt und verharmlost, nicht nur im Osten, nicht nur von Tätern.“

Das Unrecht des SED-Staates hervorzuheben, heiße aber nicht, in der DDR gelebtes Leben zu entwerten, erklärte Wulff. Und: „Es ist gut, dass es im Rechtsstaat möglich bleibt, auch den Täter als Opfer zu begreifen. Und nicht alles moralisch verwerfliche Handeln ist im Rechtsstaat strafrechtlich verfolgbar.“

Um 12.00 Uhr verharrten in der Hauptstadt viele Menschen im schweigenden Gedenken. Kirchenglocken läuteten, Busse und Bahnen stoppten kurz. An der Gedenkstätte Bernauer Straße legten Wulff, Merkel, Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Kränze nieder und gedachten still der Opfer.

Wowereit dankte den DDR-Bürgerrechtlern und osteuropäischen Freiheitsbewegungen. „Sie haben den Weg zur Überwindung der Teilung geebnet.“ Die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen, betonte er. Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier berichtete von ihrem Fluchtversuch als 18-Jährige, der verraten wurde. Sie kam ins Gefängnis. „Was für ein unbarmherziges System war das, von dem so viele heute noch schwärmen“, sagte Klier.

An der Bernauer Straße wurde der zweite Abschnitt einer rund 4,4 Hektar großen Mauer-Erinnerungslandschaft entlang eines Weges eröffnet, auf dem einst DDR-Grenzposten patrouillierten. Bund, Land und EU stellen für den Gedenkort rund 28 Millionen Euro bereit. Die Bernauer Straße galt als Symbol der Teilung, weil die Häuserfront zum Osten und der Bürgersteig zum Westen gehörte und es dort zahlreiche dramatische Fluchtszenen gab.

Auch am Brandenburger Tor sowie am früheren Grenzkontrollpunkt Checkpoint Charlie gab es Gedenkveranstaltungen. Am Nachmittag informierten sich nach Angaben der Mauer-Stiftung rund 10 000 Menschen auf einer Geschichtsmeile an der Bernauer Straße sowie bei Gesprächen mit Zeitzeugen.

Vielerorts wehten Flaggen auf halbmast. Auch an der früheren innerdeutschen Grenze wurde an die Opfer der Teilung erinnert. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) sagte, es seien auch 21 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht alle Wunden verheilt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erklärte: „Ohne Mauer und Grenzregime hätte die DDR keine 40 Jahre überlebt.“

An dem Gedenken in Berlin nahm für die Linke Parteichef Klaus Ernst teil, Lötzsch war nicht dabei. „Sie hat andere Termine im Wahlkreis“, sagte ein Sprecher. Lötzsch war vorgeworfen worden, die Opfer zu verhöhnen. Sie hatte gesagt, die Mauer sei eine logische Folge des Zweiten Weltkriegs gewesen.

Stimmen zum 50. Jahrestag des Mauerbaus

„Abseits der Verbrechen des Staates sind Millionen unter moralischen Anstrengungen anständig geblieben und haben in Beruf, Familie und Nachbarschaft Großes geleistet.“ (Bundespräsident Christian Wulff am Samstag bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Berlin)

„Ich selbst, die ich 1961 sieben Jahre alt war, erinnere mich des Schreckens, den der Mauerbau auch in meiner Familie auslöste. Auch wir wurden gewaltsam von Tanten und Großeltern getrennt. Umso unvergesslicher bleibt mir, wie glücklich der Fall dieses entsetzlichen Bauwerkes uns Deutsche 1989 schließlich gemacht hat.“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, in einer Stellungnahme)

„Es gibt eine zunehmende Gedankenlosigkeit und auch Unkenntnis in Bezug auf Teilung und Mauerbau.“(Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, SPD, bei der Gedenkveranstaltung)

„Frieden und Freiheit sind höchste Güter, die immer wieder errungen und verteidigt werden müssen - heute und in Zukunft.“ (Kulturstaatsminister Bernd Neumann, CDU, bei der Gedenkveranstaltung)

„Die Berliner Mauer war Europas Alptraum für mehr als 28 Jahre.“ (Der Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, in einer Mitteilung)

„Das Beispiel Berlins und Deutschlands lehrt uns, dass die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschheit nach einer besseren Zukunft niemals unterdrückt werden können.“ (Großbritanniens Außenminister William Hague in einer Mitteilung)

"Wir haben jetzt eine Republikflucht ohne Mauer - auch heute ziehen zu viele junge Menschen aus Ostdeutschland weg.“ (Der Theologe Friedrich Schorlemmer im Südwestrundfunk)

„Die Mauer zu verharmlosen, wie es Linke-Chefin Gesine Lötzsch tut, ist ein unrühmlicher Beitrag zur Geschichtsklitterung. Sozialismus, das hat das Experiment DDR gezeigt, funktioniert offensichtlich nur mit Gewalt.“ )(Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Johannes Rink, in einer Mitteilung)

„Die Sehnsucht nach Freiheit lässt sich nicht einsperren.“(Der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge bei der Gedenkveranstaltung in Berlin)

„Den Bau der Mauer kann man nicht entschuldigen. Grenzen, an denen Menschen sterben, kann man nicht entschuldigen.“(Mecklenburg-Vorpommerns Linken-Parteichef Steffen Bockhahn auf dem Landesparteitag in Rostock)

„Die Entscheidung über den Mauerbau 1961 war für die Führungen der Sowjetunion und der DDR ohne vernünftige Alternative...Die Frage ist, ob sie (die Mauer) so lange stehen bleiben musste und ob alles das, was daraus erwachsen ist, richtig war.“ (Der Linken-Politiker Arnold Schoenenburg auf dem Landesparteitag in Rostock)

SED-Opferverband verteilt „Ausreiseanträge“ an Linke

Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) hat am Samstag in Rostock an den Mauerbau vor 50 Jahren und die DDR-Diktatur erinnert. An einem in der Hansestadt aufgestellten Mauersegment wurden Blumen niedergelegt, wie ein Sprecher des Verbandes mitteilte. Unter den rund 100 Teilnehmern seien auch die Bürgerschaftspräsidentin Karina Jens und der Bundestagsabgeordneten Eckhardt Rehberg (beide CDU) gewesen. Der Vorsitzende der VOS-Ortsgruppe, Fred Mrotzek, kritisierte die Diskussion um den Mauerbau bei der Linken. Die SED-Nachfolgepartei müsse sich uneingeschränkt zu ihrer Schuld bekennen, forderte er. „Es ist eine Schlag ins Gesicht der Opfer, dass Linke-Politiker noch immer versuchen, die DDR und den Mauerbau schönzureden.“ (dpa/

Zwei jugendliche Mitglieder des Verbandes in NVA-Uniform verteilten „Ausreiseanträge“ an die Delegierten des Landesparteitages der Linken, die ebenfalls in Rostock zusammenkamen.