SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles spricht mit dem Abendblatt über Frauenförderung, Mutterglück - und eine Politikpause am Sonntag.

Berlin. Seit Januar ist sie Mutter einer Tochter, seit März zurück im politischen Betrieb. Im Abendblatt-Interview zeigt sich Andrea Nahles entspannt und voller Ideen. Die Generalsekretärin ist davon überzeugt, dass die SPD den nächsten Bundeskanzler stellt. Eigene Ambitionen auf die Kandidatur hat sie angeblich nicht.

Hamburger Abendblatt: Frau Nahles, ist die SPD eine bürgerliche Partei?

Andrea Nahles: Ja, weil wir Bürgerinnen und Bürger aus allen Gesellschaftsschichten ansprechen. Wir sind eine bürgerliche Volkspartei. Darüber hinaus war die SPD immer auch eine Partei, in der das Bildungsbürgertum seinen Platz hatte.

Jürgen Trittin sieht nur noch bürgerliche Parteien ...

Nahles: ... von der K-Gruppe zu den Grünen - ist doch eine interessante bürgerliche Karriere.

Was macht die SPD unverwechselbar?

Nahles: Wir lassen niemanden zurück. Wir schlagen eine Brücke zwischen bürgerlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und denen, die sich ausgegrenzt fühlen. Die SPD erneuert für das 21. Jahrhundert das Aufstiegsversprechen. Das hat uns immer stark gemacht.

Union und FDP wollen kleinere und mittlere Einkommen entlasten. Die SPD etwa nicht?

Nahles: Wir wollen die Wählerinnen und Wähler vor allen Dingen nicht belügen. Wenn Spielräume da sind, sind wir dabei. Aber eine solide Haushaltssanierung muss Vorrang haben. Die Schuldenkrise in Europa und den Vereinigten Staaten macht das Problem nicht einfacher. Steuersenkungen auf Pump sind mit der SPD jedenfalls nicht zu machen. Steuermehreinnahmen im Aufschwung müssen zunächst dem Schuldenabbau dienen.

In Positionspapieren sozialdemokratischer Arbeitsgruppen werden Steuermehreinnahmen verlangt. Zieht die SPD als Steuererhöhungspartei in den Wahlkampf?

Nahles: Wir wollen, dass Gutverdiener einen höheren Spitzensteuersatz von 49 Prozent zahlen. Eine Wiederbelebung der Vermögensteuer halte ich ebenfalls für gerechtfertigt. Mehreinnahmen kann man aber auch durch Wirtschaftswachstum oder durch Subventionsabbau erzielen. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten. Die SPD wird im September ihr steuerpolitisches Gesamtpaket vorstellen.

Ist die SPD wirklich noch Volkspartei? In den Umfragen hat sie sich nicht allzu weit von den 23 Prozent der letzten Bundestagswahl entfernt ...

Nahles: Ja, denn wir sind in allen Bevölkerungsgruppen verankert. Und wir sind optimistisch, dass wir in der Gunst der Wähler noch zulegen. Das Vertrauen, das wir bei vielen durch Hartz IV und die Rente mit 67 verloren haben, kehrt nicht von heute auf morgen zurück. Wir sind 2011 noch nicht am Ziel, aber wir haben Zeit bis 2013 - und wir sind auf einem guten Weg.

Volksparteien stellen gemeinhin Kanzlerkandidaten auf. Welches Auswahlverfahren wird die SPD für 2013 wählen?

Nahles: Der Parteivorsitzende hat das Vorschlagsrecht.

Ist die Idee vom Tisch, Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild abzuhalten und Nichtmitglieder einzubeziehen?

Nahles: Voraussetzung für Vorwahlen wären mehrere Kandidaten, die sich so einem Verfahren stellen. Die SPD hat es bisher immer geschafft, einen Kandidaten vorzuschlagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es 2013 anders läuft, ist vermutlich eher gering.

Scheitert die Parteireform?

Nahles: Nein. Die Parteireform hat viele Aspekte. Ich bleibe auch dabei: Wir sollten die Möglichkeit schaffen, unsere Kandidaten für öffentliche Ämter über Vorwahlen zu bestimmen. Wir sollten auch Nichtmitglieder einbeziehen, weil sie zur Mobilisierung beitragen. Das wird in der SPD derzeit heftig diskutiert. Manche fürchten eine Abwertung ihrer Mitgliederrechte. Diesen Streit müssen und werden wir austragen. Vorwahlen sollten dort stattfinden, wo die örtlichen Gremien sie für sinnvoll halten. Wir wollen das nicht vorschreiben, aber die Möglichkeit aufmachen.

In der SPD werden viele Namen genannt, die 2013 gegen Angela Merkel antreten könnten - Ihrer nicht. Stört Sie das?

Nahles: Nein, ganz sicher nicht.

In Ihrer Abiturzeitung haben Sie auf die Frage nach Ihrem Berufswunsch geantwortet: Hausfrau oder Bundeskanzlerin. Generalsekretärin kann da nicht die letzte Station gewesen sein ...

Nahles: Es ist immer gut, am Boden zu bleiben.

Täuscht der Eindruck, dass es auf Peer Steinbrück zuläuft?

Nahles: Es läuft gerade auf niemanden zu. Aber es läuft auf einen Regierungswechsel raus. Die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten fällt nicht mehr in diesem Jahr. Die aktuelle Mediendebatte zeigt: Wir können Kanzler - und wir können gewinnen.

Die FDP diskutiert über die Wiederbelebung sozialliberaler Koalitionen. Wäre die SPD dazu bereit?

Nahles: In meiner rheinland-pfälzischen Heimat haben SPD und FDP lange erfolgreich miteinander regiert. Mit den Liberalen auf Bundesebene ist das derzeit nicht zu machen. Von deren sogenannten Neuanfang bin ich enttäuscht. Die FDP verpasst gerade eine große Chance.

Welche?

Nahles: Sich neu aufzustellen. Meine Hoffnung war, dass der Neuanfang mehr sein wird als das Auswechseln mittelalterlicher Männer gegen jüngere Männer. Leider ist das nicht so, und es sieht nicht nach einer Öffnung der Partei aus. Es geht wieder nur um Steuersenkungen - und die konnte Westerwelle mit größerer Eloquenz fordern als Rösler. Frau Leutheusser-Schnarrenberger wird von ihren Parteifreunden gemobbt, weil sie für eine Öffnung zur SPD wirbt ...

... die auch Sie sich wünschen.

Nahles: Die FDP ist schon lange keine wirklich liberale Partei. Das bedaure ich. Wir wollen Rot-Grün, und wie es derzeit aussieht, ist das auch machbar.

Sie sind Mutter geworden. Erleichtern oder erschweren Kinder eine Karriere in der Politik?

Nahles: Erleichtern, würde ich sagen. Viel Kraft, die man dafür braucht, bekommt man von dem Kind. Man ist einfach besser drauf - auch wenn man weniger schläft. Seit ich Mutter bin, habe ich mehr Power, bin konzentrierter und entdecke manche Zeitreserve. Da fliegt dann schon mal das eine oder andere offizielle Essen aus meinem Terminkalender.

Bewundern Sie die siebenfache Mutter Ursula von der Leyen?

Nahles: Das ist doch beeindruckend, wie sie das hinkriegt.

In der SPD gibt es eine Frauenquote und bald auch eine Migrantenquote. Haben Frauen und Migranten das nötig?

Nahles: Nötig ist der falsche Begriff. Tatsache ist: Auf Freiwilligkeit kann Gleichberechtigung nicht erfolgreich aufgebaut werden, dafür sind die männlichen Netzwerke zu engmaschig. Wir haben in den Vorständen der börsennotierten Unternehmen gerade mal 3,1 Prozent Frauen. Daher bin ich für eine gesetzliche Quote von mindestens 40 Prozent. Was die Migranten angeht, gibt es eine Selbstverpflichtung auf Bundesebene, dass in den Bundesgremien der SPD auch mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte vertreten sind.

Sind Sie eine Quotenfrau?

Nahles: Ich bin als Generalsekretärin nicht quotiert. Aber mir hat die Quote in der SPD als junge Frau sicher auch geholfen.

Was ändert sich in der Wirtschaft, wenn eine Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte gilt?

Nahles: Es wird teamorientierter und effizienter gearbeitet. Untersuchungen zeigen, dass gemischte Teams effektiver sind. Ich verstehe nicht, warum das ausgerechnet in Vorständen nicht erkannt wird. Vielleicht liegt es an einem System des Wegbeißens, vielleicht auch an einer falschen Erwartung der Omnipräsenz. In Schweden achtet selbst die Regierung auf familienfreundliche Terminplanung, und das Land steht auch nicht vor dem Untergang.

Worauf wollen Sie hinaus?

Nahles: Man könnte in Deutschland einen politikfreien Tag einführen. Die Parteien sollten sich darauf verständigen, dass an einem festgelegten Wochentag - idealerweise am Sonntag - in der Regel alles ruht, was mit Politik zu tun hat. Die Politiker könnten mit ihren Familien leben und Kraft sammeln für ihre Arbeit.

Wie kann das gelingen?

Nahles: Man müsste Regeln schaffen, die alle einhalten.

Eine Frauenquote - wäre das auch was für die Bundeswehr?

Nahles: Nein, zur Bundeswehr zu gehen ist eine sehr persönliche Entscheidung, und wir haben eine Freiwilligenarmee. Wichtig ist, die Bundeswehr attraktiver zu machen - mit einer besseren Ausstattung, ordentlicher Bezahlung und guter Weiterbildung. Zusätzlich - und dies hat auch die Bundeswehr erkannt - muss sie den Dienst familienfreundlicher gestalten. Hier sollte noch einiges getan werden.

Das Ende der Wehrpflicht bedeutet auch das Ende des Zivildienstes. Finden sich genügend Freiwillige?

Nahles: Es herrscht große Verwirrung, weil es neben bisherigen Trägern der Freiwilligendienste nun einen Bundesfreiwilligendienst gibt. Familienministerin Schröder wird eine große Werbekampagne starten müssen, um Bewerber in ausreichender Zahl zu finden. Ich empfehle, ehemalige Freiwillige als Botschafter zu gewinnen. Niemand kann besser für den Bundesfreiwilligendienst werben als diese tollen, sozial engagierten Leute.

Bekommen die Bufdis genügend Geld?

Nahles: Den meisten geht es nicht um Geld, sondern um persönliche Erfahrung. Sie sind bereit, für wenig Geld viel zu machen. Aber eine ordentliche Anerkennung ihrer Leistung ist nicht mehr als recht und billig.

Bufdi - ist das ein werbewirksamer Titel?

Nahles: Das ist eine verunglückte Abkürzung. Aber wer weiß: Vielleicht finden die jungen Leute ja schnell eine ganz andere Bezeichnung.