Uno-Ausschuss moniert in Sozialbericht fast alles: von der Lage Arbeitsloser bis zum Streikverbot für Beamte. Bundesregierung wehrt sich.

Berlin. Jedes vierte Kind geht ohne Frühstück in die Schule, Hartz IV reicht nicht zum Leben, Behinderte finden keine Jobs, und alte Menschen vegetieren unter unmenschlichen Bedingungen in Pflegeheimen - ein Bild des Schreckens zeichnet der Bericht des Uno-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von der sozialen Lage in Deutschland.

Die Kritiker des Sozialstaats hierzulande sehen sich durch die Rüge prompt bestätigt. Für Linken-Chef Klaus Ernst ist der Bericht ein "beschämendes Dokument des Scheiterns aller Regierungen seit der Wiedervereinigung". Der Präsident des Sozialverbands, Adolf Bauer, sprach von einem "Alarmruf der Völkergemeinschaft zur rechten Zeit", denn die brummende Wirtschaft verdecke die stetig wachsende soziale Kluft. Es sei beschämend, "dass sich die Bundesregierung aufgrund ihrer verfehlten Sozialpolitik nun vor der Weltöffentlichkeit von den Vereinten Nationen am Ring durch die Manege ziehen lassen muss".

Die Bundesregierung hält dagegen: Die Kritik im vorläufigen Bericht des Uno-Unterausschusses sei in weiten Teilen nicht nachvollziehbar und auch nicht durch wissenschaftliche Fakten belegt, hieß es im Arbeitsministerium. Es sei schade, dass der Uno-Unterausschuss für die zentralen Kritikpunkte weder wissenschaftlich valide Datengrundlagen benenne, noch Fakten aus der Stellungnahme der Bundesregierung berücksichtige. Schließlich war der Sozial-Staatssekretär Andreas Storm im Mai eigens nach Genf gereist, um sich einer Anhörung zu stellen.

Der Uno-Ausschuss wurde 1985 eingerichtet, um die Umsetzung der Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu überwachen. Die Unterzeichnerländer müssen dem Ausschuss alle fünf Jahre Bericht erstatten. Zweimal jährlich - im Frühjahr und Herbst - tagen die 18 Experten für mehrere Wochen in Genf. Die Gutachter kommen unter anderem aus Ägypten, Weißrussland, Kamerun, Costa Rica, China, Indien, Ecuador, Jordanien und Kolumbien. Aus Deutschland ist der emeritierte Mannheimer Völkerrechtsprofessor Eibe Riedel dabei. In Anhörungen zahlreicher Nichtregierungsorganisationen und Interessengruppen - von Attac über Amnesty International bis zum Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und zum Verein Intersexuelle Menschen - verschaffen sich die Gutachter ein ausführliches Bild über das zu bewertende Land. Dabei gibt es für die Beurteilung aber keine Uno-weit einheitlichen Standards oder allgemein definierten Maßstäbe, worauf auch das Ministerium hinweist. Der Bericht lässt den Beobachter darüber rätseln, zu welchem Ergebnis man in wirklichen Krisenregionen gekommen wäre, wenn dort die Maßstäbe für die Bundesrepublik angelegt würden.

So wird moniert, dass in Ostdeutschland die Arbeitslosigkeit immer noch doppelt so hoch ist wie im Westen. Außerdem könnten 1,3 Millionen Menschen nicht von ihrer Arbeit leben, 13 Prozent der Deutschen seien arm. Hartz IV sichere keinen "adäquaten Lebensstandard" - außerdem müssten die Empfänger praktisch jede Arbeit annehmen und Langzeitarbeitslose unbezahlt für die Kommunen arbeiten. Beim Zugang zu Jobs seien Frauen wegen "klischeehafter Vorstellungen von Geschlechterrollen" benachteiligt.

Praktisch nichts findet sich darüber, dass sozial Schwache hierzulande im internationalen Vergleich gut, wenn nicht sogar sehr gut versorgt werden. Stattdessen zeigen sich die Gutachter erbost, dass frühere Empfehlungen in Berlin nicht auf offene Ohren gestoßen waren. "Tief besorgt" sei man wegen dieser mangelnden Umsetzung der Uno-Ratschläge. Und so reicht die Mängelliste noch weiter: von Exportsubventionen in der Agrarpolitik über schlechte Berufschancen von Einwanderern und das Streikverbot für Beamte bis zum Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen und zur Zwangsarbeit in den Gefängnissen sowie häuslicher Gewalt. Selbst mit den Pensionen früherer DDR-Minister und der Lage von Transsexuellen wird sich beschäftigt.

Das Arbeitsministerium macht eine andere Liste auf: "Das Rentensystem ist demografiefest, Kinderbetreuung und Ganztagsschulen werden ausgebaut, das Bildungspaket entfaltet seine Wirkung, die Jugendarbeitslosigkeit ist eine der niedrigsten weltweit, die Beschäftigungszahlen in Deutschland erreichen immer neue Rekordwerte und die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt - im Osten wie im Westen." In den "abschließenden Bemerkungen" gibt es aus Genf zumindest Lob für die Arbeitsmarktreformen, "die zum niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit 20 Jahren beigetragen haben".