Der Sozialkommissar der Europäischen Union, Laszlo Andor, empfiehlt Deutschland, mehr für Kinder aus bedürftigen Familien zu tun.

Hamburg/Brüssel. Der neue EU-Sozialkommissar Laszlo Andor aus Ungarn sagte zum Auftakt des Jahres gegen Armut und soziale Ausgrenzung dem Abendblatt: "Beim Kampf gegen die Kinderarmut müssen alle Seiten handeln. Am erfolgreichsten sind jene Länder, die die Einkommensunterstützung mit einem besseren Zugang zu Arbeit und staatlichen Leistungen wie Kinderbetreuung kombinieren. Dazu kommen kostenlose Mahlzeiten und Ganztagsschulen einschließlich außerschulischer Angebote." Andor sagte, in Deutschland würden die Anstrengungen hauptsächlich auf Kindergeld und Betreuung konzentriert.

Der Anteil der Kinder, die in arbeitslosen Haushalten leben, sei mit 9,3 Prozent relativ hoch. Zwei Drittel der EU-Länder hätten eine niedrigere Quote. Andor sagte: "Um zu verhindern, dass die Armut von einer zur nächsten Generation übertragen wird, ist eine frühe Intervention in Erziehung und Gesundheit von entscheidender Bedeutung. Nur so kann allen Kindern eine Chance im Leben gegeben werden. Das hilft auch hinsichtlich der Bildungsabschlüsse, die Kluft zwischen den verschiedenen Einkommensgruppen zu verringern."

Der neue Kommissar vermied es, sich in die deutsche Hartz-IV-Diskussion nach dem Bundesverfassungsgerichts-Urteil direkt einzumischen. Doch Andor meinte: "Es ist nicht die Aufgabe Europas, den nationalen Regierungen vorzuschreiben, dass sie Arbeitslose zur Arbeit zwingen sollen. Wir befürworten eine aktive Arbeitsmarktpolitik." Das bedeute finanzielle Unterstützung, aber auch eine hochwertige Vermittlung von Arbeitskräften und Beratung für Arbeitslose. "Es geht auch darum, Fehlanreize im Steuersystem zu reduzieren sowie Menschen im Arbeitsmarkt zu halten, die etwa andernfalls früher in Rente gehen würden."

Gerade die Verrentungspolitik ist der EU ein Dorn im Auge. Europaweit werden gerade die Lebensalterszeiten heraufgesetzt. In Griechenland und Spanien gibt es derzeit heftige Proteste gegen entsprechende Regierungspläne. Spanien will wie Deutschland die Rente mit 67. Das heikle Thema Mindestlöhne sieht die EU pragmatisch. Allerdings hebt der neue Kommissar die guten Erfahrungen hervor: "Heute haben die meisten der 27 EU-Mitgliedstaaten Mindestlöhne eingeführt. Ich kenne die Ängste vor Mindestlöhnen. Aber alle Informationen, die wir haben, belegen, dass die Einführung von Mindestlöhnen nicht zu Störungen der Arbeitsmärkte geführt hat." Andor sagte, Mindestlöhne könnten zu "anständigen" Einkommen beitragen: "Ob gesetzlich oder tariflich geregelt, der Mindestlohn bleibt eine Sache des Mitgliedstaates."

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eröffnet heute die deutsche Kampagne im "Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung". Die EU-Initiative will die Öffentlichkeit für die Nöte Bedürftiger sensibilisieren.