Das Koalitionspapier soll am Mittwoch im Bundeskabinett abgesegnet werden. Finanzminister Schäuble warnt erneut vor zu viel Optimismus.

Berlin. Welche Entlastungssumme die Koalition am Ende beschließen wird, ist weiter unklar. Klar ist seit gestern Nachmittag, dass das Entlastungspaket ab 1. Januar 2013 in Kraft treten soll. Nach Abendblatt-Informationen hatten die drei Parteichefs zuvor in mehreren Telefonaten zäh miteinander verhandelt, um das weitere Vorgehen zu beschließen. Das Bundeskabinett soll nun am Mittwoch die Pläne absegnen, die in Form einer Protokollnotiz oder eines Grundsatzbeschlusses fixiert werden sollen.

In dem entsprechenden Koalitionspapier heißt es: "Die Koalition wird im Herbst die vorhandenen Spielräume ausnutzen und einen Gesetzentwurf vor der endgültigen Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2012 vorlegen. Außerdem werden wir angesichts der guten Beschäftigungslage die Sozialversicherungsbeiträge senken. So erreichen wir, dass alle Bürgerinnen und Bürger am Aufschwung teilhaben können."

An den Sparbemühungen will die Koalition aber dennoch festhalten: "Gleichzeitig setzt die Koalition ihren Konsolidierungskurs fort. Die Schuldenregel wird eingehalten. Die gute wirtschaftliche Entwicklung sorgt aber dafür, dass beides möglich ist: Die Sanierung des Bundeshaushalts und die Entlastung der Bürger."

Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, forderte im Abendblatt die Koalition auf, zügig mit der Arbeit an dem Steuerkonzept zu beginnen. "Wir sollten unsere steuerpolitischen Vorschläge in der Sommerpause entwickeln und danach ein sorgfältig erarbeitetes Konzept vorlegen. Wir stehen bei den Wählern im Wort." Man habe zugesagt, dass man die kalte Progression abbaue. "Wann, wenn nicht in diesem Jahr mit seiner guten konjunkturellen Entwicklung, sollen wir sonst über Entlastungen entscheiden", so Müller.

Kauder: "Entlastungen werden kommen"

Zuvor hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erneut vor übertriebenen Erwartungen an Steuersenkungen gewarnt. "Wenn wir im Jahr 2012 eine Neuverschuldung von unter 30 Milliarden Euro eingehen, dann kommen diese zu den rund 1300 Milliarden Euro noch hinzu, die der Bund ohnehin schon an Schulden hat", sagte der CDU-Politiker dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Denjenigen, die angesichts guter Steuereinnahmen unglaubliche Spielräume sehen, rate ich daher zur Vorsicht." Wenn der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt für 2012 am kommenden Mittwoch im Kabinett verabschiedet werde, könne sich jeder die Zahlen ansehen, sagte Schäuble: "Sie zeigen, dass wir bei allen Erfolgen unserer Sparbemühungen noch einen weiten Weg gehen müssen, um die Regeln der Schuldenbremse ab 2016 einzuhalten."

Der aktuelle Abendblatt-Kommentar

Die Belastbarkeit einer Beziehung zeigt sich vor allem in schweren Zeiten. Die durchlebt die schwarz-gelbe Koalition unter anderem dank Euro-Krise, Fukushima samt Energiewende oder Libyeneinsatz in Serie. Hinzu kommen von Anfang an selbstverschuldete Reibereien, weil Union und Liberale die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags unterschiedlich interpretierten. Vor allem die von der FDP schon in den Verhandlungen zur Schicksalsfrage erhobene Steuerreform unter dem Motto „Einfacher, niedriger, gerechter“ bereitet den Berliner Partnern bis heute Ungemach.

Auch sonst hatte sich die damalige Wunschkoalition von Gesundheits- über Pflege- bis Hartz-IV-Reform viel vorgenommen und schriftlich fixiert. Nur die Suche nach neuen Partnern war nicht dabei. Die scheint dank permanenter Frustrationen allerdings in vollem Gange zu sein. Seit der 180-Grad-Wende beim Atomausstieg lassen manche Unionisten durchblicken, dass man die Grünen auch auf Bundesebene mittlerweile für regierungsfähig erachtet. Die FDP erinnert ihrerseits an erfolgreiche sozialliberale Zeiten.

Das Drohen, man könne auch mit jemand anderem ganz gut, kann ein Weckruf sein, ein Appell, zurück zu gemeinsamen Zielen und endlich hin zu vertrauensvoller Arbeit zu finden. Aufgaben sind schließlich reichlich vorhanden, die Legislaturperiode ist noch nicht einmal zur Hälfte vorbei und die Wähler haben Anspruch auf eine handlungsfähige Regierung. Die Drohung kann sich zudem sehr schnell verschleißen. Entweder, man macht sie spätestens beim zweiten Mal wahr – oder verliert die Glaubwürdigkeit.

Und da beginnen dank schleppender Regierungsarbeit schon die nächsten Probleme: Derzeit verfügt Deutschland über kein gültiges Wahlrecht. Die vom Verfassungsgericht angemahnten Korrekturen wurden verschleppt, sodass momentan Neuwahlen nach einem Koalitionsbruch auf äußerst schwankendem Grund stünden. Außerdem dürften die ins Spiel gebrachten Ersatzpartner wenig Lust verspüren, sich mit einer der derzeit regierenden Parteien einzulassen. Die Grünen sehen nach wie vor die größeren Schnittmengen mit der SPD – die in ihrer derzeitigen Schwäche auch der einfachere Partner wäre. Die Sozialdemokraten wiederum können es sich kaum leisten, ihr Schicksal an eine Partei zu knüpfen, die an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern droht.

Manchmal ist es eben die schiere Not, die Partner in der Krise zusammenhält. Gegenseitiges Vertrauen wäre besser.