Philipp Rösler wusste schon als Kind, dass er anders ist. Daraus macht er einen Vorteil. Der neue FDP-Chef strahlt Zuversicht aus.

Wenn der Druck steigt, dann greift Philipp Rösler zu seinem bewährten Ventil: Er wird einfach fröhlich. Wer den Gesundheitsminister gestern gegen 16 Uhr erlebte, als er nach Stunden in Parteisitzungen vor die Kameras trat, sah einen fröhlichen Mann. Seine ernsten und bedeutenden Worte, mit denen er den Generationswechsel in der FDP ankündigte, versah er mit einem sanften Dauerlächeln. Man hätte diesen Auftritt penetrant künstlich finden können, würde er nicht Röslers Wesen entsprechen. Der 38-Jährige kann nun mal nicht anders, als Zuversicht auszustrahlen.

Die Liberalen haben sich für diesen Wesenszug entschieden. Er soll nun die gesamte Partei prägen. Dabei wissen viele in der FDP bis heute nicht, wofür Rösler eigentlich steht. Als Gesundheitsminister hat er seit seinem Amtsantritt nicht wirklich eine FDP-Handschrift erkennen lassen. Im Parteipräsidium haben die Liberalen Rösler als jemanden kennengelernt, der davon spricht, dass der Starke dem Schwachen helfen soll. Manche zählen ihn daher zum sozialliberalen Flügel, obwohl er als Vizeministerpräsident und Wirtschaftsminister in Niedersachsen in bester Harmonie mit der CDU regierte. Was er an Privatem von sich preisgibt, verpackt er grundsätzlich humorvoll.

Wer also ist Philipp Rösler? Ihren neuen Parteichef wird die FDP erst kennenlernen müssen.

Bisher konnte er Anfragen nach Homestorys noch abwehren. Jetzt will man natürlich wissen, welche Blumen im Garten des FDP-Vorsitzenden wachsen, ob er zu Hause Pasta kocht oder Pizza bestellt, ob er auch bei seiner Familie so gern Lakritz isst wie in Berlin. Fotos, die Rösler in Pullover und Jeans zeigen, haben Seltenheitswert. Man kennt ihn im schwarzen, seltener im braunen Anzug. Er schätzt keine äußeren Auffälligkeiten. Sein Gesicht findet er schon markant genug: "Ich weiß, dass ich anders aussehe. Ich hab eine flachere Nase, schwarze Haare und schmalere Augen, wie das bei Asiaten halt so ist."

Als er im September auf dem Gillamoos-Volksfest in Niederbayern seine erste Bierzelt-Rede als Bundesminister hielt, witzelte er über sein Aussehen. Er rief ins Bierzelt, er habe sich am ersten Tag als Bundesminister dem Pförtner vorstellen wollen: "Guten Tag, ich bin der neue Gesundheitsminister." Der Pförtner habe ihn schräg angeguckt und gesagt: "Is klar, aber wenn du gesagt hättest, du bist der Kaiser von China, wäre das glaubwürdiger gewesen." In derselben Rede machte er sich auch über Kanzlerin Angela Merkel, über Parteichef Guido Westerwelle und die katholische Kirche lustig. Es scheint, als könne er so am besten die notwendige Distanz zum eigenen Tun aufbauen. Und es sieht aus, als brauche Rösler die Abgrenzung, jenes "Ich bin anders".

Das Anderssein beginnt schon beim Geburtsdatum. In seinem Ausweis steht der 24. Februar, aber Rösler könnte auch einige Tage früher oder später geboren sein. Sein genau dokumentiertes Leben begann erst, als ein deutsches Ehepaar das ungefähr neun Monate alte Waisenkind aus den Kriegswirren Vietnams heraus adoptierte. Als sich das Paar trennte, blieb Rösler bei seinem Vater Uwe. Er besuchte den katholischen Kindergarten und die katholische Grundschule in Harburg, engagiert sich heute im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. Hannover wurde erst später Röslers Heimat. Dort bestand er sein Abitur, dort studierte er Medizin, promovierte im Bereich der Herz-Thorax-Chirurgie. Und dort lernte er auch seine Frau Wiebke kennen.

Im Oktober 2008 bekamen sie Zwillinge, Grietje Marie und Gesche Helen. Über sie sagte er: "Meine Kinder sollen, so die aufgeklärten Kindergärten dies zulassen, so lange wie möglich an den Weihnachtsmann glauben." Im Herbst 2009 kauften sich Röslers ein Haus im Stadtteil Isernhagen. Doch nur wenige Tage nach dem Hauskauf kam der Anruf von Guido Westerwelle, der Ruf nach Berlin.

Kürzlich hielt Rösler in der Universität Witten/Herdecke einen Vortrag, und er tat einmal mehr das, was inzwischen zu einer Art persönlicher Überlebensstrategie in der Bundespolitik geworden ist. Kaum hatte er das Mikrofon in der Hand, ließ er alle Ernsthaftigkeit fallen, die ein Staatsamt mit sich bringt, lächelte sein Zuversichtslächeln und plauderte einfach drauflos. Da hielt nicht der Herr Bundesgesundheitsminister einen Fachvortrag, da erzählte vielmehr der freundliche Dr. med. Rösler aus seinem unterhaltsamen Leben.

Er erwähnte seine Trauzeugin, die aus Frust über das deutsche Gesundheitswesen in die Schweiz geflohen sei, und er berichtete von den Problemen seiner Frau im Arztberuf. "Meine Frau sitzt zu Hause mit den Zwillingen, wenn ich auf Montage bin. Als sie wieder als Ärztin in Teilzeit arbeiten wollte, sagte ihr Ex-Chef, sie könne zwei Wochen arbeiten, dann zwei Wochen freihaben." Und so könne man das natürlich nicht machen, schloss Rösler die Episode, um dann lieber über sich selbst und sein Medizinstudium zu sprechen. "Wir haben viel gelernt, aber nicht viel diskutiert. Das war etwas langweilig, da habe ich es mal mit Geschichte und Philosophie versucht. Aber dann bin ich an die falschen Freunde gerate und in die Politik gerutscht." Als er den Patienten erzählt habe, dass er in den Landtag gehe, habe das keiner bedauert.

Rösler spricht grundsätzlich ohne Manuskript, auch lange Vorträge hält er frei. Lieber bereitet er sich gründlich vor und lernt die wichtigsten Gedanken auswendig, als dass er sich an irgendwelche Zettel klammert. Er will Stimmungen im Publikum erspüren können, auf sie reagieren und mit ihnen spielen - so wie es ein Entertainer tut.

Staatstragend aufzutreten hat Rösler noch nie versucht. Er könnte sich selbst wohl dabei nicht ganz ernst nehmen. Doch als neuer Vizekanzler wird er das Staatstragende öfter als sonst üben müssen. Er wird sich häufig neben die Kanzlerin stellen und mit ihr zusammen Wichtiges verkünden müssen. Er wird in ihrer Abwesenheit die Kabinettssitzungen leiten und auf Parteitagen eine Härte in seine Sprache einfließen lassen müssen, die er bislang vermieden hat. Er mag das Hintersinnige, aber in Zukunft wird er auch mal eine gröbere Rhetorik anwenden müssen. Und er wird sich Feinde machen, weil er manche Erwartungen enttäuschen muss. Er wird sich verändern müssen. Und es wird ihm nicht leichtfallen.

Wer Rösler bislang erlebt hat, musste ihn zwangsläufig sympathisch finden. Wer so uneitel und selbstironisch auftritt, kann nur gemocht werden. Das ist Röslers Waffe. Wen er auf seine Seite zieht, den kann er für sich einsetzen. Wenn es sein muss, dann gelingt diese Strategie auch beim Bundesfinanzminister, der ihm vor drei Wochen recht überraschend mal eben 700 Millionen Euro extra an Bundeszuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung bewilligte. Wer den kratzbürstigen Wolfgang Schäuble kennt, kann erahnen, wie geschickt Rösler vorgegangen sein muss. Kein Wunder, dass der Gesundheitsminister sich jetzt noch mehr zutraut. Die Überlebensstrategie scheint zu funktionieren.