Der neue FDP-Chef ist 100 Tage im Amt. Die Bilanz des 38 Jahre alten Wirtschaftsministers und Vize-Kanzlers fällt enttäuschend aus.

Berlin. Ende August, zum Abschluss der heißen Wahlkampfphase, will Philipp Rösler noch einmal nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, um ordentlich Stimmung zu machen. Im Rostocker Ratskeller wird er dann auf einem Podium stehen und den Liberalen Mut machen für die Wahl am 4. September, bei der es nicht gut aussieht für seine Partei. Bei vier Prozent liegt die FDP in den Umfragen, im Bund messen manche Meinungsforscher sogar noch weniger, nicht selten erreichen die Liberalen nur noch einen Wert von drei Prozent. Der Einzug in den Schweriner Landtag ist ungewiss, ebenso die Fortsetzung der Regierungsbeteiligung nach den Bundestagswahlen im Herbst 2013.

Für den neuen Wirtschaftsminister und Vizekanzler ist das keine leichte Situation. Seit 100 Tagen ist er am kommenden Sonntag nun auch neuer Chef der FDP und hat es nicht vermocht, die Beliebtheit seiner Partei im Wahlvolk zu steigern. Gestern kam mit der schwächelnden Konjunktur ein neuer Minuspunkt auf seiner persönlichen Bilanz hinzu. Bislang gab das Wirtschaftswachstum regelmäßig gute Nachrichten her - doch nun ist Rösler auch das verloren gegangen.

Gute drei Monate nach seiner Ämterübernahme ist der 38-Jährige schwer zu fassen. Selbst in seinem eigenen Reich, dem Wirtschaftsministerium, ist es mitunter so. Als Rösler vor Kurzem vor Pressevertretern die Eckpunkte für die achte Novelle des deutschen Wettbewerbsrechts vorstellen wollte, sagte er zu Beginn entschuldigend, er habe nur 20 Minuten Zeit. So lange sprach er dann auch, ohne viel zu sagen, entschuldigte sich vor seinem Abgang noch einmal und überließ alle weiteren Erklärungen seinen Mitarbeitern. Es war ein Auftritt, der ohne Rösler vielleicht sogar besser gewesen wäre. So aber machte der Minister den Eindruck, die Gesetzesänderung sei zwar wichtig, ganz so wichtig aber nun auch wieder nicht.

Gehetzt wirkt er seit seiner Wahl zum Parteichef am 13. Mai - auch inhaltlich. Zwischen Vorschlägen zur Euro-Rettung und dem Willen, in der Innenpolitik etwa durch Fachkräftezuwanderung und Stärkung der Bürgerrechte neue Akzente zu setzen, reift zudem die Erkenntnis, dass der Hoffnungsträger der Liberalen gleich am Anfang seiner Amtszeit offensichtlich einen fatalen Fehler gemacht hat: Er holte die Forderung nach Steuersenkungen aus der Mottenkiste mit der Begründung, es sei nun mal das Wahlversprechen der FDP gewesen, die Bürger zu entlasten. Die Union und vor allem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gingen umgehend auf Distanz: Große Sprünge könne man angesichts der angespannten Haushaltslage und der unsicheren Zukunft der Währungsunion ohnehin nicht mehr machen. Kaum hatte sich Rösler an den Chefposten gewöhnt, hatte ihn die restliche Koalition schon düpiert. Er aber biss sich fest und ließ das Kabinett eine Absichtserklärung absegnen, die nun im Herbst wieder hervorgeholt werden soll: Dann geht das Geschacher um mögliche Steuersenkungen erst richtig los. Und doch scheint jetzt schon klar zu sein, dass Rösler nicht als der politische Gewinner aus den Verhandlungen gehen wird. In Koalitionskreisen heißt es, auf maximal fünf bis zehn Milliarden Euro könnte sich die Entlastung im Endeffekt summieren. Auf ihren Gehaltszetteln werden die Arbeitnehmer nur wenig davon sehen. Nicht nur deshalb wird Rösler um das Entwickeln eigener und neuer Ideen nicht herumkommen. Umfragen zeigen, dass vielen Deutschen weiterhin unklar ist, wofür die FDP neben ihrer Forderung nach Steuersenkungen eigentlich steht. Auch Röslers Vorgänger Guido Westerwelle wurde vor allem die inhaltliche Verengung auf dieses eine Lieblingsthema vorgeworfen - doch nun scheint es auch der neue Parteichef nicht zu schaffen, die alten Trampelpfade der Liberalen zu verlassen.

"Die FDP muss jetzt klare Kante zeigen. Sie muss das tun, wofür sie gewählt wurde", fordert Christian Ahrendt. Er ist Chef der Liberalen im Wahlland Mecklenburg-Vorpommern und hat sich ebenfalls Gedanken darüber gemacht, wie die FDP wieder Fuß fassen kann. Klare Kante also - für Ahrendt bedeutet das neben den Steuersenkungen vor allem auch das Anschieben von Reformen. "Wir müssen jetzt den Subventionsabbau angehen", sagte er dem Abendblatt. "Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabenproblem." Sein Parteifreund aus Schleswig-Holstein, Sozialminister Heiner Garg, sieht es ähnlich. Mit dem Abbau von Subventionen habe die FDP die Möglichkeiten, "urliberale Grundsätze zu verfolgen". Es könne nicht sein, "dass Unternehmen Dauersubventionen beziehen, indem sie prekäre Arbeitsverhältnisse anbieten", kritisierte er. Kritik an Rösler üben beide jedoch nicht. "Die Probleme, die die FDP seit dem Einzug in die Regierung hatte, kann man nicht innerhalb weniger Wochen lösen", meint Ahrendt. Der Parteichef habe aber die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt.

Solche Sätze hört man in der FDP häufig, wenn es um ihren Weg aus der Krise geht. Die Frage ist allerdings, wie lange der Optimismus noch hält, den Rösler mit seiner Amtsübernahme in der FDP ausgelöst hat und der vor allem auch in seiner persönlichen Art begründet liegt. Wenn er nun Ende des Monats im Rostocker Ratskeller vor seinen Parteifreunden zum Wahlkampfabschluss sprechen wird, wird er anders als sein Vorgänger Westerwelle weder besonders laut und energisch reden noch mit seinen Händen die Luft zerhacken. Nein, der neue Parteichef ist anders. Die Mitglieder schätzen an ihm vor allem seine Unaufgeregtheit, seine Sympathie und Authentizität. Dazu ist er frisch und jung, Vater von Zwillingsmädchen, Ehemann einer Ärztin. Er hat viele Eigenschaften, von denen es eigentlich heißt, er könne seine Partei damit aus der Krise führen - zumal er damit auch jenen mitfühlenden Liberalismus verkörpert, den sich die Erneuerer der Partei so dringend wünschen.

Röslers Stil brauche "etwas Zeit zum Wirken, gerade weil er auf Theatralik verzichtet", meint FDP-Landesminister Garg aus Schleswig-Holstein. Seiner Ansicht nach ist bis dahin eine Schärfung des liberalen Werteprofils vonnöten: "Die Bundespartei muss noch deutlicher machen, dass sie ihre liberalen Grundsätze auch weiterhin vertritt", sagte Garg dem Abendblatt. Dies bedeute eine offene, moderne liberale Gesellschaftspolitik und eine Wirtschaftspolitik, "die gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung und Soziales" ermögliche. "Die Verbindung dieser Grundsätze mit der täglichen Politik muss man stärker herausstellen", forderte er. "Es muss erkennbar sein, dass Führung klaren Wertvorstellungen folgt und nicht nur Krisenmanagement von Fall zu Fall ist."

Rösler versprach bei seiner Amtsübernahme, genau das und noch mehr zu "liefern". Er kann froh sein, dass sich die Parteiführung jetzt noch nicht fragen wird, ob sich der Chef mit dieser Ansage nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt hat: Die FDP-Spitze hat sich selbst eine längere Schonfrist gesetzt. Statt nach 100 Tagen soll erst nach einem Jahr die Bilanz der Neuaufstellung fällig werden. Dass Röslers entscheidende Wegmarke damit ausgerechnet mit der Wahl in Schleswig-Holstein Anfang Mai zusammenfällt, macht es für ihn nicht gerade leichter, immerhin geht es hier um eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung. Das größte Problem wird jedoch sein, überhaupt im Landtag zu verbleiben. Wie in Mecklenburg-Vorpommern liegen die Umfragewerte hier nur noch bei vier Prozent.