Rösler steht für Mitgefühl in der FDP. Sollte der Gesundheitsminister neuer Vorsitzender werden, könnte das seine Partei spürbar verändern.

Berlin. Ab jetzt kann Philipp Rösler nur noch verlieren. Zu oft ist seit dem Wochenende sein Name genannt worden, zu oft haben ihn prominente Liberale als den denkbar besten Nachfolger Guido Westerwelles im Amt des FDP-Chefs bezeichnet. Sollte Rösler heute am Ende des liberalen Sitzungsmarathons von Präsidium, Landesverbänden, Bundesvorstand und Bundestagsfraktion doch nicht mehr als der einzige Kandidat dastehen, hätte die desolate FDP neben Westerwelle den nächsten Verlierer produziert. Dennoch: Die wenigsten rechnen damit, dass die Partei nun noch an Rösler vorbeikommen kann.

Von Bayern bis Schleswig-Holstein haben mehrere Landesverbände signalisiert, dass man sich den Gesundheitsminister als Parteivorsitzenden sehr gut vorstellen kann. Eine Vorentscheidung ist das noch nicht, doch Rösler geht als klarer Favorit ins Rennen um das höchste Parteiamt. Kein anderer Spitzen-Liberaler genießt in allen Flügeln der FDP ein so hohes Ansehen. Ein wenig erstaunlich ist dies schon. Als Gesundheitsminister kann man eigentlich nichts gewinnen. Man kann es der eigenen Partei kaum recht machen, und man bewegt sich auf einem Feld, das die wenigsten durchschauen.

In seinen anderthalb Jahren als Gesundheitsminister hat auch Rösler nicht viel gewonnen, und die gesundheitspolitischen Grundüberzeugungen der FDP hat er schon gar nicht umgesetzt. Von Röslers Gesundheitsreform wissen die Bürger vor allem, dass mit ihr die Beiträge steigen und die Arbeitgeber vergleichsweise geschont werden. Von dem einstigen liberalen Versprechen, den Gesundheitsfonds abzuschaffen, redet niemand mehr in der FDP. Schon in den Koalitionsverhandlungen war Rösler klar geworden, dass es mit der Union nur Trippelschritte geben kann - wenn überhaupt. Und bei seinen Reformversuchen in der Pflege steht er erst am Anfang. Immerhin mutete Rösler der Pharmaindustrie Einschnitte bei ihren Gewinnen zu. Aber gedankt haben es die Wähler der FDP auch nicht.

Nicht wenige Liberale vertraten bis zuletzt die Auffassung, Westerwelle habe mit Röslers Aufstieg vom niedersächsischen Wirtschaftsminister zum Bundesgesundheitsminister elegant einen potenziellen Konkurrenten entsorgt. Wer so ein undankbares Amt habe, könne keine Karriere mehr machen, hieß es. Über eines sind sich die Liberalen daher im Klaren: Nicht weil, sondern obwohl er Gesundheitsminister ist, hat Rösler die besten Chancen, Westerwelle zu beerben. Es muss also etwas anderes, tiefgründigeres sein, das den 38-Jährigen zum wichtigsten Hoffnungsträger macht. Im Vergleich zu Noch-Parteichef Westerwelle und Generalsekretär Christian Lindner tritt Rösler weniger ambitioniert und verbissen auf. Seine Sprache ist weniger schrill, seine Rhetorik weicher. "Der Bambus wiegt sich im Sturm, aber er bricht nicht", zitierte er ein asiatisches Sprichwort, nachdem ihn wieder einmal die CSU attackiert hatte.

Rösler will anders sein als der Rest der politischen Klasse. Sein Lebensweg ist schließlich auch ein anderer. "Wenn Sie so wollen, bin ich ein Findelkind", sagte Rösler in einem Interview nach seiner Amtsübernahme im Gesundheitsministerium. "Offenkundig sind meine Eltern in den damaligen Kriegswirren ums Leben gekommen, und irgendjemand hat mich in dem katholischen Waisenhaus abgeliefert." Das vietnamesische Waisenkind kam mit neun Monaten nach Deutschland, adoptiert von einem deutschen Ehepaar. Die Ehe scheiterte, Rösler wuchs beim Vater, einem Berufssoldaten, in Harburg und Bückeburg auf. Im politischen Betrieb gehört er heute zu den wenigen, denen man die innere Distanz zu Ämtern und Parteigremien abnimmt. Seit Jahren beteuert Rösler, dass er mit 45 Jahren aus der Politik aussteigen will. Wie viel Ernst und wie viel Koketterie dahintersteckt, ist schwer messbar.

Rösler versteckt sich gern hinter einer humorvollen Fassade und einer Verbindlichkeit, die es einem schwer macht, ihn nicht irgendwie nett zu finden. In seinen Reden sorgt er regelmäßig für Lacher im Publikum. Bei seinen Besuchen in Kliniken, Altenheimen und Sozialstationen gewinnt er Sympathien als aufmerksamer Zuhörer und als jemand, der nicht in Phrasen spricht, wie man es von Politikern zuerst erwarten könnte. Rösler, der bei der Bundeswehr Medizin studierte, wird vor allem dann ernst, wenn er über Solidarität und Gerechtigkeit spricht. Es sind die Themen, die seiner Meinung nach in den Westerwelle-Jahren viel zu kurz gekommen sind. Rösler stand als Fürsprecher eines mitfühlenden Liberalismus lange allein da. Jetzt könnte sich sein Konzept einer wärmeren, fürsorglicheren FDP durchsetzen. Zu Anfang müsste er aber die Partei aufbauen, ihr Selbstbewusstsein geben - und Glaubwürdigkeit. Im Moment weiß die FDP nicht wirklich, wie sie sein muss, worauf sie Wert legen soll, worauf sie verzichten kann. Rösler müsste die FDP schlicht retten.

Doch so klar der Niedersachse als bester Mann für diese Rettung gilt, so unklar ist, wie sich die Partei und die Minister in der Koalition um ihn positionieren könnten. Dass sich Rösler als Parteichef und Vizekanzler weiter um das Nischenressort Gesundheit kümmert, würde die Partei nur irritieren, heißt es bei den Liberalen. Viel spricht daher dafür, dass Rösler Anspruch auf das Wirtschaftsministerium erheben könnte. Doch Hausherr Rainer Brüderle hat sich für diesen Fall längst munitioniert. In der Präsidiumssitzung habe er seinen Gestaltungsanspruch deutlich gemacht und Prioritäten für die weitere politische Arbeit benannt, berichtete Generalsekretär Lindner gestern. Dies sei im Präsidium einmütig zur Kenntnis genommen worden. Trotz der heftigen Kritik an Brüderle in den vergangenen Tagen, nachdem er vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg angeblich die Atomwende der Koalition als Wahlkampfmanöver dargestellt hatte, könne der Wirtschaftsminister auf eine breite Unterstützer-Basis zählen, heißt es in Parteikreisen. Sollte Rösler an Brüderle scheitern, könnte der Gesundheitsminister notfalls Westerwelle das Außenamt streitig machen. Ausgerechnet der Nachfolger würde dem Ex-Parteichef dann den endgültigen Laufpass aus der Politik geben. Ob die FDP zu solch einem radikalen Schritt bereit wäre, wird parteiintern stark bezweifelt.

Ein Scheitern Röslers an den Machtstrukturen scheint nicht ausgeschlossen. Die Liberalen müssten sich in diesem Fall auf einen Ersatzkandidaten einigen. Dieser könnte dann Christian Lindner heißen, dessen Rückhalt aber parteiintern als noch nicht ausreichend bewertet wird. Geringe Chancen werden Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ausgerechnet, die als linksliberale Anwältin der Bürgerrechte kaum die gesamte Partei hinter sich vereinen könnte. Entwicklungsminister Dirk Niebel könnte dann auch in den Kreis der Favoriten eintreten. Der Parteistratege mit reichlichen Erfahrungen als Generalsekretär genießt den Ruf, mit mutigen Reformen seinem Ministerium wieder zu größerer Bedeutung verholfen zu haben.

In der FDP scheint derzeit viel möglich - von einer bis ins Detail geklärten Machtübergabe am heutigen Tag bis hin zu einer wochenlangen Schlammschlacht, die beim Bundesparteitag Mitte Mai in Rostock ihren Höhepunkt finden könnte. Wer den Favoriten Rösler bisher erlebt hat, kann sich schwer vorstellen, dass er sich auf letztere Variante einlassen würde. Rösler kann zwar beharrlich sein, aber Scharmützeln um Macht und Ämtern ist er stets aus dem Weg gegangen. Macht und Amt wurden immer an ihn herangetragen. Mit 26 Jahren war das schon so, als sein Förderer Walter Hirche ihn zum Generalsekretär der niedersächsischen Liberalen beförderte, ihn drei Jahre später zum Fraktionschef im Landtag machte und schlussendlich zu seinem eigenen Nachfolger als FDP-Landeschef und Wirtschaftsminister.

Der Ruf nach Berlin im Herbst 2009 kam für Rösler überraschend. Seitdem versucht er, seine Termine so zu organisieren, dass er seine Frau und die Zwillingstöchter in Hannover ein- bis zweimal pro Woche besuchen kann. Das Parteiamt würde ihn nun noch mehr an die Hauptstadt binden. Doch Rösler, ganz der Unabhängige, würde sich diese Last nie anmerken lassen.