Am Dienstag wird in Berlin über inhaltliche und personelle Neu-Ausrichtung der FDP beraten. Rösler hat Sympathien, aber noch nicht den Posten.

Berlin. In der FDP läuft alles auf Philipp Rösler als neuen Parteichef zu. Der 38-jährige Gesundheitsminister hat zwar seine Kandidatur für die Nachfolge von Guido Westerwelle noch nicht offiziell angemeldet. In der Parteispitze wird aber fest davon ausgegangen, dass er an diesem Dienstag vor den Spitzengremien von Partei und Fraktion seinen Hut in den Ring wirft. Neben dem niedersächsischen Landeschef Rösler wird auch Generalsekretär Christian Lindner (32) als möglicher Kandidat für die Westerwelle-Nachfolge genannt. Lindner wollte sich am Abend nicht konkret zur Kandidatenfrage äußern.

Westerwelle hatte nach anhaltender Kritik aus der Partei am Sonntag seinen Rückzug vom Parteivorsitz angekündigt. Auf dem Bundesparteitag Mitte Mai will er nicht mehr für dieses Amt antreten. Am Dienstag kommen zunächst die Landesvorsitzenden der FDP mit dem Präsidium zusammen. Danach beraten Bundestagsfraktion und Bundesvorstand gemeinsam darüber, wer die Partei von Mai an führen soll.

Westerwelle kündigte am Montag an, dass er auch das Amt des Vizekanzlers abgeben will – falls der neue Parteivorsitzende Regierungsmitglied ist. Die Opposition fordert Westerwelles Rücktritt auch als Außenminister. Auch aus der FDP kommen entsprechende Forderungen. Das FDP-Präsidium stellte sich dagegen einstimmig hinter Westerwelles Wunsch, Außenminister zu bleiben. Inzwischen wächst auch der innerparteiliche Druck auf Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Sollte Rösler im Fall seiner Wahl ins Wirtschaftsministerium wechseln wollen, müsste Brüderle gehen. Für Rösler könnte dann Staatssekretär Daniel Bahr an die Spitze des Gesundheitsministeriums rücken, der als nordrhein-westfälischer FDP-Vorsitzender einen starken Landesverband hinter sich hat. Bayerns FDP-Fraktionschef Thomas Hacker riet Brüderle zum Rückzug aus dem Amt des Bundeswirtschaftsministers. Ähnliche Signale kamen auch aus der niedersächsischen FDP. Brüderle hat allerdings bereits klargemacht, dass er nicht weichen will. Im Präsidium meldete er am Montag seinen weiteren „Gestaltungsanspruch“ in der Regierung an.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel sieht wegen der Personaldebatte beim Koalitionspartner keine Notwendigkeit für eine Kabinettsumbildung. Die Spitzen von Union und FDP treffen sich am Dienstagabend zum ersten Koalitionsausschuss seit den jüngsten Wahlniederlagen im Kanzleramt. Dabei dürfte es auch um die Personalentscheidungen bei der FDP gehen. Generalsekretär Lindner grenzte sich ausdrücklich von dem sehr auf eine Person zugeschnittenen Führungsstil Westerwelles ab: „Die FDP wird künftig im Team geführt.“ Bei der neuen Führungsriege werde es „nicht nur um den Steuermann“ gehen. In den ARD-„Tagesthemen“ nannte Lindner Rösler einen „exzellenten, im übrigen auch außerordentlich sympathischen Politiker“, zu dem er ein „ausgesprochenes Vertrauensverhältnis“ habe. Dennoch wollte er nicht sagen, ob er eine Kandidatur Röslers unterstützen würde. Er habe eine Ahnung, „welche Kandidaturen“ es gibt, meinte er im „RTL Nachtjournal“. „Wir haben jetzt zehn Jahre Guido Westerwelle an der Spitze Jahre der FDP gehabt. ...Dann werden wir uns alle noch zehn Stunden oder vielleicht auch etwa länger gedulden und dann wird es da auch eine Klärung geben.“

Kritik gibt es auch an Fraktionschefin Birgit Homburger. Die nächste turnusgemäße Abstimmung über die Fraktionsspitze findet Ende Oktober statt. Soll dieser Termin vorgezogen werden, müsste ein Viertel der Fraktion dies verlangen. Sollte das diese Woche geschehen, wäre der früheste Wahltermin eine Woche vor dem Bundesparteitag Mitte Mai. Dafür gab es allerdings am Montag keine Anzeichen. Vor allem die jüngeren Vertreter im FDP-Vorstand dringen auf eine stärkere personelle und inhaltliche Neuaufstellung der Partei nach Westerwelle. Das neue Führungsteam solle die FDP in die zweite Hälfte der Legislaturperiode führen und damit auch in den Wahlkampf für die nächste Bundestagswahl, sagte Lindner. Der personelle Neuanfang und der politische Generationenwechsel sollen so weit wie nötig gehen: „Wir machen das nach und nach und nicht überstürzt.“

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum verlangte von Westerwelle, auch das Außenministerium abzugeben. „Ein glaubwürdiger Neuanfang ist für die FDP nur ohne Westerwelle zu machen“, sagte der FDP-Politiker „Spiegel Online“. Auch SPD, Grüne und Linke verlangten einen vollständigen Rückzug Westerwelles. „Das Auswärtige Amt ist kein Rückzugsraum für gescheiterte Parteipolitiker“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth.

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Der Nur-noch-Außenminister

Der Termin war wie gemacht für diesen Tag. Ein Mittagessen mit dem Kollegen aus Ungarn, Janos Martonyi, bei dem viel über die EU und wenig über die FDP geredet wurde. Routine eigentlich. Aber besser konnte Guido Westerwelle kaum deutlich machen, dass er seine Arbeit im Auswärtigen Amt nach seinem Rückzug als FDP-Chef ganz normal weiterzuführen gedenkt.

Ob das so klappen wird, ist fraglich. Als Nur-noch-Außenminister wird er es zu Hause und auch im internationalen Geschäft um einiges schwerer haben. Klar ist, dass sich die Machtverhältnisse im Bundeskabinett zu seinen Ungunsten verschieben. Die Opposition verspottet ihn bereits als neuen „Grüßaugust“ der schwarz-gelben Koalition. Aber auch in den eigenen Reihen gibt es einige, die finden, dass der 49-Jährige jetzt auch sein Chefbüro im Auswärtigen Amt räumen sollte. Der Alt-Liberale Gerhart Baum bringt es auf den Punkt: „Es ist den Bürgern schwer zu vermitteln, dass jemand vom Parteivorsitz zurücktritt, weil die Partei ihn nicht mehr will, gleichzeitig aber noch das Land nach außen vertreten soll.“

Davon will die FDP-Spitze nichts wissen. Das Präsidium sprach sich einstimmig dafür aus, dass Westerwelle Außenminister bleibt. Auch die neuen starken Männer um Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler und Generalsekretär Christian Lindner sehen für ihn weiter eine wichtige Rolle. Lindner sagte: „Es gibt ja historische Beispiele dafür, dass ein Außenminister in Deutschland, auch wenn er nicht Bundesvorsitzender ist, in seinem Staatsamt Großes leisten kann.“ Gemeint war natürlich Hans-Dietrich Genscher, der noch sieben Jahre Außenminister blieb und wesentlich an der Wiedervereinigung beteiligt war, nachdem er den FDP-Vorsitz schon los war. Nachfolger Klaus Kinkel schaffte es immerhin noch drei Jahre. Zudem verweisen die FDP-Leute darauf, dass Westerwelles unmittelbare Vorgänger Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier überhaupt nie Grünen- oder SPD-Chef gewesen seien.

Die Vergleiche hinken allerdings. Alle Vorgänger hatten Beliebtheitswerte, von denen Westerwelle nur träumen kann. Und alle hatten deutlich mehr Rückhalt im eigenen Haus. Gegen Westerwelle gibt es auch nach 15 Monaten in der Beamtenschaft des Auswärtigen Amts noch arge Vorbehalte. Die deutsche Enthaltung bei der jüngsten Libyen-Resolution des UN-Sicherheitsrats hat die Zweifel nicht kleiner werden lassen. Im Außenministerium – wo viel Wert auf Prestige und Hierarchie gelegt wird – wird jetzt genau verfolgt, ob Westerwelle Vizekanzler bleibt. Das hängt vom Nachfolger ab: Wenn Rösler die FDP-Spitze übernimmt, soll er auch Stellvertreter der Kanzlerin werden. Falls Lindner aufrückt und nichts ins Kabinett geht, will Westerwelle den Posten behalten.

Auch im internationalen Geschäft dürfte der Verlust von Parteivorsitz und Vizekanzlerschaft schmerzen. Bisher wurde Westerwelle auf seinen Auslandsreisen häufig auch von Staats- oder Regierungschefs empfangen. Als einfacher Außenminister - wenn auch von einer weltweit angesehenen und einflussreichen Industrienation - könnte es schwieriger werden, solche Termine zu bekommen. Die Konzentration auf ein einziges Amt könnte aber auch ihr Gutes haben. Endlich wird Westerwelle den Vorwurf los, sein wahres Interesse gelte ohnehin mehr der Innenpolitik als der Diplomatie. Bislang bezifferte er den Zeitaufwand fürs Auswärtige Amt auf 80 Prozent. Jetzt können es 100 werden. Auch das Problem, dass es auf wichtigen Auslandsreisen nur noch um die FDP geht - wie vor einem Jahr in Südamerika und eben erst in Asien -, hat sich erledigt. Auf den Reisen, die oft eine Hetzjagd von Termin zu Termin waren, kann er sich jetzt auch mehr Zeit lassen. Fest steht schon, dass Ende Mai, wenn der neue FDP-Chef gewählt ist, die bislang längste Auslandsreise beginnt. Es geht nach Australien.

Mit Material von dpa und afp