In Baden-Württemberg haben Grüne und SPD die ersten Koalitionsverhandlungen “mit Zuversicht“ aufgenommen.

Stuttgart. Es ist der Beginn des Machtwechsels in Baden-Württemberg: Grüne und Sozialdemokraten sind gestern in Stuttgart zu ersten Koalitionsverhandlungen zusammengekommen. Zunächst legten die jeweils achtköpfigen Delegationen unter Führung der beiden Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann (Grüne) und Nils Schmid (SPD) Arbeitsgruppen fest und diskutierten den Zeitplan für die weiteren Treffen bis Ende April.

Die Unterhändler werden viel zu besprechen haben, denn einig waren sich beide Parteien bislang vor allem darin, Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) abzulösen und das Monopol der CDU auf die Mehrheit zu brechen.

In Themen wie Atomausstieg und Stuttgart 21 positionierte sich Grün-Rot vor allem gegen die Landesregierung, völlige Harmonie innerhalb des Bündnisses herrschte dabei jedoch nie. So haben sich die Grünen deutlich gegen den milliardenteuren Umbau des Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof ausgesprochen, die SPD dagegen zunächst dafür. Dennoch zeigten sich die Verhandlungsführer nach dem Treffen optimistisch: "Ich habe keine Zweifel, dass wir die Gespräche erfolgreich zu Ende führen werden", sagte Kretschmann. Zentrales Anliegen der Koalitionäre sei es, mehr Bürgerbeteiligung zu erreichen. Er kündigte an, der Koalitionsvertrag solle bis zum 27. April fertig sein.

SPD-Landeschef Schmid räumte ein, dass das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 zwar ein "Reibungspunkt" sei, "eine Zerreißprobe wird es nicht". Der von beiden Parteien angestrebte Volksentscheid über das umstrittene Bahnprojekt dient laut Schmid genau dazu, diesen Dissens aufzulösen. Auch Punkte, in denen beide Partner nicht einer Meinung seien, würden "freundlich und verbindlich" angegangen, versicherte der Sozialdemokrat. Er will laut SPD-Kreisen in Stuttgart die Ressorts Wirtschaft und Finanzen übernehmen. Grüne Verhandlungsteilnehmer wiesen aber darauf hin, dass Ressortentscheidungen erst gegen Ende der Verhandlungen getroffen werden sollen.

Schmid und Kretschmann profitieren von dem guten Verhältnis, das sie untereinander pflegen. Im Gegensatz dazu galt das Verhältnis ihrer beiden Parteien im Stuttgarter Landtag lange Zeit als weit weniger harmonisch. Davon war gestern nun nichts mehr zu spüren. Kretschmann betonte die vielen thematischen Übereinstimmungen mit der SPD und erklärte: "Das ist doch fast eine Liebesheirat." Sondierungsgespräche seien deshalb nicht nötig gewesen. Beide Seiten hätten die Verhandlungen nun "mit Zuversicht" aufgenommen und wollten Reformen "entschlossen, aber behutsam einleiten".

In den kommenden Wochen wird sich nun zeigen, wie weit diese inhaltlichen Übereinstimmungen gehen. Die wichtigsten Punkte seien nun eine Überprüfung der Landesfinanzen, der Volksentscheid zum Bahnhof, die Bildungs- und die Arbeitsmarktpolitik, sagte Christian Lange dem Hamburger Abendblatt. Lange ist Sprecher der baden-württembergischen Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion und nimmt ebenfalls an den Koalitionsverhandlungen teil. Die Energiewende, wie sie die Grünen anstreben, findet sich nicht in der Prioritätenliste des Sozialdemokraten. Als weitere strittige Punkte gelten die Verkehrspolitik mit dem Ausbau des Straßennetzes und die von den Grünen geforderte Verringerung der Beamtenalimentierung.

Dafür ist in den meisten anderen Bereichen das Konfliktpotenzial gering, beispielsweise in der Bildungspolitik. Die SPD will, dass es ein Wahlrecht gibt, ob ein Gymnasium eine acht- oder neunjährige Schulzeit anbieten soll. "Beim Punkt des längeren gemeinsamen Lernens will die SPD keine Vorgaben von oben machen, sondern beabsichtigt, ein Wahlrecht für die Betroffenen einzuführen", sagte Lange. Seine Partei will darüber hinaus für Baden-Württemberg die Themen Mindestlohn und Leiharbeit angehen. "Die SPD möchte dazu ein Tariftreuegesetz einführen, dass öffentliche Baumaßnahmen nur an Firmen vergeben werden, die Tariflöhne zahlen", sagte Lange.

Ähnlich klingt es bei den Grünen, die sich eine "Schulreform von unten" wünschen. Gemeinschaftsschulen solle es dort geben, wo sich die Menschen dafür aussprächen. Auch einen Mindestlohn sieht das grüne Wahlprogramm vor. Bundespolitiker Lange sieht daher den kommenden Verhandlungen ruhig entgegen: "Jetzt ist erst einmal die Zeit, um sich kennenzulernen."