In Baden-Württemberg erleidet die CDU eine Niederlage. Grüne und SPD könnten sie zum ersten Mal seit sechs Jahrzehnten ablösen.

Hamburg/Stuttgart. Winfried Kretschmann kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus: Kurz nach den ersten Hochrechnungen jubelte der baden-württembergische Spitzenkandidat der Grünen: "Jetzt haben wir die historische Wende in diesem Land erreicht." Tatsächlich sind die Gewinner der Landtagswahlen die Grünen, die mit einem Stimmenzuwachs von 12,5 Prozentpunkten einen historischen Wahlsieg errungen haben. Zusammen mit der SPD können sie nun die CDU-Regierung des bisherigen Ministerpräsidenten Stefan Mappus ablösen. Zugleich könnte Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident in der bundesdeutschen Geschichte werden. Er kündigte einen Politikwechsel an. Die Grünen wollten die Bürger hinter ihren Zielen versammeln, "damit wir dieses Land umgestalten können".

Vor allem der Proteststurm gegen das Milliardenprojekt Stuttgart 21 trieb den Grünen zunächst Wähler zu, zuletzt aber die Atomkatastrophe in Japan. Beide Themen dürften nun auch die großen Herausforderungen für Kretschmann werden: Immerhin hatten die Grünen angekündigt, vier Atommeiler in Baden-Württemberg so schnell wie möglich abzuschalten. Er wolle den Atomausstieg beschleunigen, sagte Kretschmann noch am Wahlabend. Zugleich gab er sich versöhnlich. "Im Wahlkampf ist viel polarisiert worden, und jetzt geht es darum, alle wieder zusammenzubringen", kommentierte er das Ergebnis - und lobte sich dann für sein Durchhaltevermögen. "Wir haben 30 Jahre lang dicke, harte Bretter gebohrt. Irgendwann kommt man dann durch."

Die CDU behauptete sich laut vorläufigem amtlichen Endergebnis trotz dramatischer Verluste mit 39 Prozent zwar als stärkste Partei, kann mit der FDP (5,3 Prozent) aber nicht mehr die Regierung stellen. Die Liberalen mussten im Vergleich zu den Landtagswahlen 2006 eine Halbierung ihres Ergebnisses hinnehmen, die Christdemokraten verloren immerhin 5,2 Prozentpunkte.

Die Grünen eroberten die Position der zweitstärksten Partei mit 24,2 Prozent, das entspricht einer Verdoppelung im Vergleich zu den Landtagswahlen von 2006. Die SPD kam auf 23,1 Prozent, rund zwei Prozentpunkte weniger als bei der Landtagswahl 2006. Die Linke scheiterte mit 2,8 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde.

Gemeinsam kommen Grüne und SPD dem vorläufigen Ergebnis zufolge auf 71 Sitze, 36 für die Grünen, 35 für die SPD. Die bisherige schwarz-gelbe Koalition verfügt nur über 67 Sitze. Stärkste Fraktion bleibt die CDU mit 60 Sitzen. Die FDP stellt nur noch sieben Abgeordnete. Die Wahlbeteiligung erreichte den höchsten Stand seit 15 Jahren. Mit 66,2 Prozent lag sie mehr als zehn Prozentpunkte über der Wahl zum Landesparlament 2006 (53,4).

Der SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid erklärte sich bereit, eine Koalition unter Führung der Grünen mitzutragen. Schmid sagte: "Wir haben es geschafft, der Wechsel ist da." Schwarz-Gelb sei abgewählt worden. Es gebe einen "klaren Regierungsauftrag für SPD und Grüne, den wir gemeinsam annehmen werden". Man werde "auf Augenhöhe" zusammenarbeiten.

Amtsinhaber Mappus räumte seine Niederlage bereits ein. Er wünsche der bisherigen Opposition aus SPD und Grünen "für die Erfüllung des Regierungsauftrags alles Gute", sagte Mappus. "Es ist ein bitterer Tag für die CDU in Baden-Württemberg, und es ist ein bitterer Tag für mich persönlich." Er kündigte noch am Abend eine "personelle und inhaltliche Neuausrichtung" an. Die Vorschläge dazu werde er heute den Gremien unterbreiten. "Die Verantwortung trägt der Spitzenkandidat", sagte Mappus. "Es war wahrlich kein leichter Wahlkampf", sagte der bisherige Regierungschef. Man habe immer wieder neue Rückschläge erleiden müssen, darunter die Proteste um Stuttgart 21, den Guttenberg-Rücktritt, den Streit um das Energiekonzept und die Atomkatastrophe in Japan. "Die Ereignisse der letzten Tage von Berlin aus waren auch nicht gerade hilfreich", sagte Mappus - ein Hinweis auf die Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), das Atom-Moratorium diene nur dem Wahlkampf.

Auch der baden-württembergische CDU-Generalsekretär Thomas Strobl sieht im Japan-Unglück ein wesentliches Element der Niederlage: "Die Landtagswahl ist in Japan entschieden worden", sagte er. CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk machte bereits deutlich, dass er trotz der Niederlage seiner Partei im Amt bleiben will. "Ich werde mich wieder um das Amt bewerben", sagte der 50-jährige Hauk. Damit deutet sich bereits ein Machtkampf um die Führungspositionen in der künftigen Oppositionspartei an. Baden-Württembergs FDP-Vorsitzende Birgit Homburger gestand eine deutliche Niederlage ihrer Partei im Südwesten ein. "Wir haben die Wahl klar verloren", sagte Homburger. Es zeichne sich ab, dass ihre Partei künftig nicht mehr mit der CDU regieren werde. Zu möglichen personellen Konsequenzen wollte sie sich nicht äußern. Für eine Personaldiskussion sei es noch zu früh. Zunächst müsse in den Gremien über das Ergebnis beraten werden.

Der hessische FDP-Vorsitzende Jörg-Uwe Hahn forderte jedoch Konsequenzen für das schlechte Wahlergebnis seiner Partei "Diese Entscheidungen der Wähler sind nicht nur schmerzlich für jeden Liberalen. Sie sind auch ein klares Signal. Wir müssen dieses jetzt verstehen", betonte Hahn. Auf dem FDP-Bundesparteitag im Mai würden "die alten Wahlerfolge und die neuen Wahlniederlagen, inhaltliche und personelle Verantwortungen" die beherrschenden Themen sein.

Laut Wahlanalysen der ARD haben es die Grünen geschafft, rund 265 000 Nichtwähler für sich zu mobilisieren, die ihnen ihre Stimme gaben. Erstmals in ihrer Geschichte ist es der Landespartei zudem gelungen, Direktmandate zu gewinnen. Kandidaten der Grünen setzten sich in Wahlkreisen in Stuttgart, Mannheim, Freiburg, Tübingen und Heidelberg gegen die Konkurrenz aus den anderen Parteien durch.