Nach dem Guttenberg-Schock präsentiert sich Horst Seehofer am politischen Aschermittwoch als Erbe des gefallenen Polit-Stars.

Passau. Um halb fünf Uhr morgens sind sie in ihren Bus gestiegen und nach Passau gefahren. Sie müssen einfach hier sein, in der Passauer Dreiländerhalle, sagt Fred Rummer. Fred Rummer kommt aus Stadtsteinach in Oberfranken, das liegt fünf Kilometer vom Ort Guttenberg entfernt. Im Bus haben sie kleine Plakate verteilt: "K.T. zu Guttenberg - Come Back!!!" steht darauf. Viele aus Guttenbergs Kreisverband Kulmbach sind hier. "Hier muss gesagt werden, wie die CSU zu Guttenberg steht", fordert der 65-jährige Rentner. Er ist sauer, auf die CDU. "Außer der Bundeskanzlerin war keiner für Guttenberg. Wegen dieser Kleinigkeit wird er jetzt als Verbrecher dargestellt." Die Doktorarbeit, die "Kleinigkeit".

Am vergangenen Wochenende haben Rummer und seine Parteifreunde in Guttenberg für ihren Liebling demonstriert. Jetzt will Rummer hier in der Halle weitermachen. Und wie geht es jetzt weiter mit der CSU? "Es sieht schlecht aus", sagt er. Zum Glück bringt ihm die Bedienung ein Bier.

Ein paar Tische weiter sitzt Martin Müller, Lkw-Fahrer aus der Nähe von Heidelberg. Er trägt ein weißes T-Shirt mit aufgedrucktem Guttenberg-Antlitz. "Seehofer muss sagen, dass er zu Karl-Theodor steht", fordert der 34-Jährige. Und bestellt erst mal ein Bier.

Politischer Aschermittwoch in Passau. Wo das Herz der CSU am lautesten schlägt. Der größte Stammtisch der Welt. 3000 Menschen sind in die Dreiländerhalle gekommen, ein Liter Bier kostet 6,80 Euro, ein Fischbrötchen 2,60 Euro. Früher verhöhnten hier Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber die kläglichen Versuche der Opposition, in Bayern Wähler zu bekommen.

Heute heißt der Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer, er muss sich in Bayern und im Bund die Macht mit der FDP teilen und hat gerade seinen besten Mann verloren. Seehofers Trauer um Guttenberg hält sich in Grenzen: Zum einen fürchtet zwar auch er den Absturz seiner Christsozialen in den Umfragen. Zum anderen ist er seinen internen Rivalen los - viele in der Partei konnten Guttenberg gar nicht schnell genug in der CSU-Parteizentrale oder der Bayerischen Staatskanzlei sehen. Guttenberg hatte Seehofer in der Hand. Jetzt hat Seehofer die CSU in der Hand. Was macht er daraus?

Der CSU-Chef hat im Vorfeld des Aschermittwochs streuen lassen, dass Guttenbergs Einfluss auf die zuletzt guten Umfragewerte der CSU doch gar nicht so groß war. Und auch an der Wand kann man gut ablesen, dass Seehofer das Thema Guttenberg klein halten möchte. Dort sind Dutzende Plakate von der Partei platziert worden. Nur eins davon thematisiert Guttenberg: "KT - Du bist einer von uns", steht darauf. Das war es. Zu viel Trauer will die Partei offenbar nicht. Seehofer allein will bestimmen, welche Rolle der gefallene Superstar künftig spielen wird: Held weg, Horst da.

Um kurz nach zehn Uhr betritt Seehofer die Dreiländerhalle. Die Stadtkapelle Passau spielt den Defiliermarsch, und der CSU-Chef wird mit den Erwartungen konfrontiert, die Guttenberg geweckt hat. Die CSU mag die Wand-Plakate ausgewählt haben, die Gäste haben aber auch ihre Transparente dabei. "Zeit für 50 plus X - auf geht's. Auch ohne Dr.-Titel" steht auf einem Plakat, an dem Seehofer lächelnd vorübergeht. Auf einem anderen Plakat prangt neben einem Guttenberg-Bild der Wunsch "Lass und nicht im Stich, Bayern und Deutschland brauchen dich". Für Seehofer gibt es höflichen Applaus. Milde lächelnd bahnt er sich den Weg zur Bühne. Plötzlich bricht lauter Jubel aus: Seehofer hat Edmund Stoiber entdeckt, die beiden winken in die Kameras, die Bilder werden auf eine große Leinwand übertragen. Stoiber, der Nostalgische, der mit der Zweidrittelmehrheit regieren konnte. Das waren noch Zeiten, sagen die Menschen. Stoiber ist an diesem Tag eine Art Ersatz-Heiliger.

Den Einpeitscher gibt an diesem Morgen Niederbayerns CSU-Chef Manfred Weber. Er spricht von einer "Hetzjagd" auf Guttenberg und behauptet, dass dessen Nein zur Rettung von Opel "dem deutschen Steuerzahler viele Milliarden gespart" habe. Er unterschlägt, dass Opel trotzdem gerettet wurde. Die Legendenbildung hat begonnen. Guttenberg, das Opfer, der Märtyrer. Dann ist Seehofer dran. Er beginnt mit einer Vision für seine Partei. "Grüß Gott", ruft er und betont, dass dieser Gruß schon seine Geisteshaltung beinhaltet. Und ist schon gleich bei der Leitkultur angelangt. "Wir lassen uns von niemandem, auch nicht vom türkischen Ministerpräsidenten, erklären, wie man damit umzugehen hat." Das Publikum schreit "Buh!", als von der Türkei die Rede ist. Seehofer präsentiert das, was sein Sprecher vorher als "Nachricht" angekündigt hat: Die CSU will in die bayerische Verfassung festschreiben, dass Migranten sich zum christlich geprägten deutschen Wertesystem und zur deutschen Sprache bekennen. Das Publikum klatscht begeistert. Seehofer hat soeben sein großes Thema für die kommenden Wahlkämpfe präsentiert.

Als Nächstes nimmt sich der CSU-Chef die anderen Parteien vor. Zuerst die Liberalen, mit denen er in Bayern und im Bund regiert. Genüsslich dehnt Seehofer den Vornamen Westerwelles aus: "Gu-i-do". "Das eigentliche Problem bei den Liberalen ist, dass sie sich bereits benachteiligt fühlen, wenn sie nicht bevorzugt werden", witzelt er. Aber irgendwie müsse man auch Mitleid mit ihnen haben. Wegen Wolfgang Kubicki. "Wenn Kubicki ein Parteifreund sein soll, dann sind die Taliban ein Gesangsverein." Gejohle.

Dann kommt er auf die Grünen zu sprechen. Er habe ja neulich, bei den Hartz-IV-Verhandlungen, mit Jürgen Trittin und Renate Künast an einem Tisch gesessen, sagt er. "Das war ein Schock. Wenn die beiden in den Spiegel schauen, ist es nicht Eitelkeit, sondern Tapferkeit." Hahaha. Seehofer poltert: "Eine solche Partei ist nicht politikfähig. Wer Grün will, der bekommt Rot. Das haben wir in Hamburg erlebt." Stimmung im Saal kommt auf, wenn Seehofer über die "Stasi-Kommunisten" der Linken spricht. Jürgen Trittin und Gregor Gysi taugen als Feindbilder.

Ein bisschen Romantik gehört auch zu einem Politischen Aschermittwoch. In Berlin, sagt Seehofer, kommen 2500 Polizisten zur Räumung eines besetzten Hauses. "Das macht bei uns die Freiwillige Feuerwehr Plattling", ruft er. Beim Befehl "Helm auf!" würden in Bayern Demonstranten von selbst auseinanderrennen. Bayern, sagt Seehofer, sei ein "Premium-Land". Wenn Bayern ein eigener Staat sei, befände sich dieses Land immer unter dem Top zehn in Europa. Und sowieso, in anderen Bundesländern wie zum Beispiel Berlin werde Geld verschwendet. Geld, das durch den Länderfinanzausgleich aus Bayern kommt, dem "Premium-Land".

Erst nach einer Stunde kommt Seehofer auf Guttenberg zu sprechen. "Die CSU steht zu Karl-Theodor zu Guttenberg", sagt er. Jubel im ganzen Saal, viele Menschen springen auf, sie klatschen rhythmisch, johlen. Nach einer Minute verschafft sich Seehofer wieder Gehör. "Ich werde alles dafür tun, dass Karl-Theodor zu Guttenberg wieder in die deutsche Politik kommt", sagt er. Und, in Richtung der Opposition: "Von Steinewerfern, RAF-Sympathisanten und Stasi-Kommunisten lassen wir uns nicht Anstand und Moral erklären." Auch für Attacken auf die Opposition taugt der Rücktritt. Wieder erschallt Jubel, der noch lauter wird, als Seehofer sich theatralisch über die Kameras an Guttenberg wendet: "Lieber Karl-Theodor, du bist einer von uns, du bleibst einer von uns. Wir wollen, dass du wieder zurückkehrst." Jetzt gibt es sogar Freudengesänge. "Oh, wie ist das schön!", grölen die Guttenberg-Fans.

Seehofer weiß, dass es dauern wird, bis eine Rückkehr realistisch ist. Und er weiß: Guttenberg kann ihm wegen der Affäre vorerst nicht mehr gefährlich werden. Viele in der Partei reden schon mitleidig über Guttenberg. Erwin Huber zum Beispiel, der ehemalige erfolglose Parteichef, der dem Zurückgetretenen prophezeit, dass das Interesse an seiner Person bald nachlassen wird. Huber sagt, er hoffe, dass Guttenberg eine gute neue Aufgabe findet.

Horst Seehofer hat sehr konzentriert über den Komplex "Guttenberg" gesprochen. Er redet jetzt über sich selbst. Er habe eine "Menge Spaß" an seinen Jobs als Ministerpräsident und Parteichef. Er wolle weitermachen, brenne auf neue Aufgaben. "Wir sollten nicht die Asche bewahren, sondern das Feuer weitergeben", sagt er. Die Asche - ist das Guttenberg? Das Feuer will auf jeden Fall Seehofer weitergeben. Nach einer Stunde und 20 Minuten ist Seehofer fertig. Mal hat er heiser gebrüllt, mal hat er ganz leise geredet. Es ist stickig geworden, es riecht nach Fisch und Bier. Die Passauer Stadtkapelle stimmt die Bayernhymne an, die Menschen singen mit, einige von ihnen legen ergriffen die Hand aufs Herz. Horst Seehofer wirkt zufrieden.