Die Kanzlerin unterscheidet in der Plagiatsaffäre weiterhin zwischen Privatperson und Amtsträger. Das bringt ihr erheblichen Ärger ein

Berlin. Die Kritik an Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ebbt nicht ab und wird auch zu einem Problem für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Mehr als 30 000 Unterstützer haben mittlerweile einen offenen Brief von Doktoranden an die Kanzlerin unterschrieben, mit dem sie gegen Merkels Festhalten an Guttenberg protestieren. In dem Brief heißt es, die Unterzeichner verfolgten "mit großer Erschütterung und noch größerem Unverständnis" die Debatte um Guttenberg. Die Ankündigung der Kanzlerin, sie habe mit Guttenberg keinen "wissenschaftlichen Assistenten", sondern einen Verteidigungsminister berufen, sei eine "Verhöhnung der Wissenschaft".

Auch der Vizepräsident des Bundestags, Wolfgang Thierse (SPD), kritisierte die Trennung von Guttenbergs Ministeramt und seiner Privatperson scharf. "Die Bundeskanzlerin macht einen großen Fehler, wenn sie glaubt, dass Guttenbergs Betrug und sein geistiger Diebstahl nicht das öffentliche Amt des Verteidigungsministers berühren", sagte er dem Hamburger Abendblatt. "Merkel teilt Guttenberg in die Privatperson einerseits und den Minister andererseits. Diese Art von Schizophrenie ist absolut unzulässig." Thierse betonte, der Wissenschaftsstandort Deutschland nehme schweren Schaden. "Es ist ein erstaunlicher Vorgang, dass Angela Merkel als Regierungschefin der Bildungsrepublik dies für irrelevant hält und auch das Aufbegehren Zehntausender Doktoranden und Wissenschaftler ignoriert", so Thierse.

Als erste Kabinettskollegin äußerte sich gestern Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) kritisch zur Plagiatsaffäre. "Als jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme ich mich nicht nur heimlich", sagte Schavan der "Süddeutschen Zeitung". Auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner sieht in der Plagiatsaffäre um Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einen "gravierenden Vorgang".

Die Bundeskanzlerin hält aber weiterhin an Guttenberg fest. "Der Bundesverteidigungsminister genießt das Vertrauen und die Unterstützung der Bundeskanzlerin, daran hat sich nichts geändert in den letzten Tagen", sagte Regierungssprecher Stefan Seibert. Er fügte hinzu, Merkel habe zwar Verständnis für die Kritik der Wissenschaftler. Sie teile aber nicht die Schlussfolgerung, dass es sich bei ihrem Verhalten um eine Missachtung der Wissenschaft gehandelt habe.

Sanftere Töne schlug auch der Präsident der Hamburger Uni, Dieter Lenzen, an. Zwar handele es sich bei Guttenbergs Arbeit um einen "schäbigen Fall des Plagiats", jedoch könne man nicht sagen, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland gefährdet wäre. "Das Wissenschaftssystem hat sich vielmehr darin bewährt, dass das Plagiat im Wissenschaftsbereich aufgedeckt und kompromisslos verfolgt wurde", sagte Lenzen dem Abendblatt. "Blindes Vertrauen nur wegen des gesellschaftlichen Rangs einer Person bleibt allerdings unangemessen", warnte er.

Die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg wollte sich mit einem Hinweis auf ihre Loyalität gegenüber ihrem Dienstherrn Guttenberg nicht zu den Vorgängen äußern. Der Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, forderte Merkel dazu auf, dem Minister die Zuständigkeit für die beiden Bundeswehr-Universitäten in Hamburg und München vorläufig zu entziehen. "Angesichts der Vorwürfe des massiven Wissenschaftsbetrugs kann Minister Guttenberg diese Aufgabe nicht mehr mit der notwendigen Autorität wahrnehmen", erklärte er.

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, hält Guttenberg trotz der Plagiatsaffäre in seinem Amt weiterhin für akzeptabel. In der ARD sagte er: "Wenn es bei diesen Vorwürfen, die wir jetzt haben, bleibt, dann ist er tragbar." Er habe "genau reingehört in die Truppe", sagte Kirsch. Soldaten im Einsatz gehe die Rücktrittsdebatte über den Minister "hinten quer vorbei", bei den Bundeswehr-Angehörigen in Deutschland sehe es jedoch anders aus. So verwiesen Studenten an Bundeswehr-Hochschulen darauf, dass ihnen in einem vergleichbaren Fall ein Disziplinarverfahren drohe.

Bundestagsvizepräsident Thierse warnte vor einem Anstieg der Politikverdrossenheit: "Es gibt ohnehin bereits ein erhebliches Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Politik. Wenn Guttenberg jetzt so weitermachen kann wie bisher, wird sich dieses Misstrauen noch verschlimmern."