Wird Renate Künast nächsten Herbst Bürgermeisterin in der Hauptstadt, sind die Grünen endgültig etabliert. CDU hält Optionen offen.

Berlin. Die Kulisse war sorgfältig ausgewählt. Im Berliner Museum für Kommunikation, das gerade eine Ausstellung mit dem Titel "Gerüchte" zeigt, brach Renate Künast am Freitagabend ihr langes Schweigen und beendete alle Spekulation. "Ich bin bereit, ich kandidiere für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin", sagte die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. "Berlin war und ist immer noch eine Verheißung", so Künast, "man kann sagen, Berlin ist ein Magnet für Menschen, die Neues suchen."

Dass sie etwas Neues sucht, ist jetzt offiziell. Renate Elly Künast, die kleine blonde Frau mit dem Bürstenschnitt, tritt bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 gegen Amtsinhaber Klaus Wowereit (SPD) an - und es ist alles andere als unwahrscheinlich, dass ihr ein Sieg gelingt. Schließlich weiß Künast: Die Grünen sind stark. In Berlin so sehr, dass es Urgestein Hans-Christian Ströbele hier 2009 wiederholt gelungen ist, als einziger Grüner per Direktmandat in den Bundestag einzuziehen. Aber auch im Rest der Republik sonnt sich die Partei in einem beispiellosen Umfragehoch, das bereits Monate anhält.

Allein deshalb werden die Grünen nun oft im selben Satz mit dem Begriff der Volkspartei genannt - auch wenn damit meist das bürgerliche, gebildete und besser verdienende Volk gemeint ist. Künast aber will davon nichts wissen. Das Konzept Volkspartei hat für die 54-Jährige keine Zukunft mehr. Es geht ihr darum, Verantwortung "für das Ganze" zu übernehmen, ohne Etikett. Bekommt sie dazu nach den Berliner Wahlen Gelegenheit, dann wäre das auch ein Signal an die Skeptiker des grünen Aufschwungs. An jene, die die Partei nur als Auffangbecken enttäuschter SPD-, CDU- und sogar FDP-Anhänger sehen und nicht an die Nachhaltigkeit guter Umfragewerte glauben. Mit Künasts Erfolg könnten die Grünen eine Wende einleiten - nicht nur in Berlin, sondern im bundesdeutschen Parteiengefüge. Es wäre der Aufstieg vom ewigen Juniorpartner hin zur Regierungspartei. Es ist nicht wenig, was man Künast da zutraut. Aber man traut es ihr zu. Auch beim politischen Gegner.

Denn auch wenn die Grünen fast mantraartig wiederholen, dass es nur auf inhaltliche Arbeit und nicht auf Machtfragen oder Personaldebatten ankäme, ist das Geschacher um mögliche Koalitionen im Roten Rathaus längst entbrannt. In einem Fünf-Parteien-System ist eine Alleinregierung nun mal nicht drin, so viel ist allen Beteiligten klar. "Mit der SPD kann man sich das am ehesten vorstellen", hatte Künast so auch vor einiger Zeit gesagt. Aber auch die CDU falle als denkbarer Partner keineswegs von vornherein aus. Ganz ähnlich sieht das dann auch der Berliner CDU-Partei- und Fraktionschef Frank Henkel. "Eine schwarz-grüne Zusammenarbeit ist theoretisch denkbar", sagte er dem Abendblatt. "Wir kämpfen für einen Politikwechsel in unserer Stadt. Da wäre es nicht hilfreich, schon im Vorfeld der Wahl Wechseloptionen zu verbauen." Aber auch wenn eine prinzipielle Offenheit da ist bei den Berliner Christdemokraten - so richtig anfreunden mit den Grünen können sie sich nicht. "Bei den Inhalten sehe ich doch noch erhebliche Differenzen", so Henkel. Zum Beispiel im Bereich Bildungspolitik. Die CDU setzt sich in der Hauptstadt für den Erhalt des Gymnasiums ein - die Grünen stellen es infrage. "Frau Künast spricht sich wörtlich für Multikulti aus", sagte Henkel, "ein Konzept, das für uns gescheitert ist." Und auch bei diversen Infrastrukturprojekten wie dem geplanten Ausbau der Berliner Stadtautobahn stehen Grüne und CDU auf Kriegsfuß. "Da müssten sich die Grünen noch kräftig bewegen." Aber das Hamburger Beispiel habe gezeigt, "dass die Grünen nicht unbedingt prinzipienfest sind, wenn es sie nur an die Macht bringt."

Ginge es nach den Umfragen, könnten sie sich in Berlin ein Festhalten an ihren Prinzipien erlauben, hier sind sie mit 30 Prozent stärkste Kraft noch vor SPD und CDU, die mit 17 Prozent Platz drei belegt. Berlin wäre nach Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland das fünfte Bundesland mit grüner Regierungsbeteiligung - und das erste mit einer grünen Landeschefin.