Westerwelle nimmt Studie über Verstrickung des Außenamtes in NS-Diktatur entgegen. Opposition will Vergangenheit anderer Ministerien erforschen.

Berlin. 1979, als Hans-Dietrich Genscher (FDP) Bundesaußenminister war, gab das Auswärtige Amt in Bonn eine Broschüre heraus, in der es hieß, das Ministerium habe während des Dritten Reiches zähen, hinhaltenden Widerstand gegen die Pläne der NS-Machthaber geleistet.

Mit dieser Legende ist jetzt Schluss. Und ausgerechnet Genschers Ziehkind und spätem Nachfolger Guido Westerwelle fiel gestern die Aufgabe zu, die jahrzehntelang sorgfältig gepflegte Geschichtsklitterung offiziell für beendet zu erklären. Aus der Hand einer 2005 einberufenen unabhängigen Historikerkommission nahm Westewelle die 900 Seiten starke Studie "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik" entgegen. Sein bitterer Kommentar: "In diesem Amt konnte man Mord als Dienstgeschäft abrechnen."

Der Beweis dafür war in der Bibliothek des Auswärtigen Amtes ausgestellt, in der der Übergabeakt stattfand: Eine Reisekostenabrechnung des "Judenreferenten" Franz Rademacher, der eine Auslandsreise 1941 mit dem knappen Satz begründete: "Liquidation von Juden in Belgrad."

Westerwelle nannte die Studie in seiner Dankesrede ein notwendiges Buch. Als historisches Vermächtnis und Mahnung legte er es vor allem den vielen jungen Nachwuchsdiplomaten ans Herz, die sich in der Bibliothek versammelt hatten. Man wisse nun, dass sich das Auswärtige Amt damals gewissermaßen selbst mit dem Regime gleichgeschaltet habe, sagte der Bundesaußenminister: "Das Auswärtige Amt war ein aktiver Teil der verbrecherischen Politik des Dritten Reiches, es war frühzeitig über die Pläne zur Judenvernichtung informiert und an der Wannseekonferenz beteiligt."

Man ist versucht zu sagen, alles andere wäre auch verwunderlich gewesen unter einem Reichsaußenminister, der bereits im Mai 1933 der SS beigetreten war und das Judentum gern als "Krankheit" bezeichnet hatte. Dieser Joachim von Ribbentrop, der Hitler von 1938 bis 1945 als Chefdiplomat diente, ist in Nürnberg wegen Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Die Alliierten, die die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse führten, haben sich von der vermeintlich unbeschmutzten weißen Diplomatenweste schon damals nicht blenden lassen.

Aber in dem von Eckart Conze (Universität Marburg), Norbert Frei (Universität Jena), Peter Hayes (University of Sunderland, Großbritannien) und Moshe Zimmermann (Hebräische Universität Jerusalem, Israel) vorgelegten Buch geht es ja nicht nur um die massenhaften Verstrickungen deutscher Diplomaten während des Dritten Reiches - nur wenige von ihnen hatten den Mut, sich dem Widerstand anzuschließen, und die meisten davon bezahlten dafür mit ihrem Leben -, sondern auch um die Zeit danach.

Und es geht um den vermeintlichen Neuanfang in der 1949 gegründeten Bundesrepublik. Zwar hatte sich im Herbst 1951 ein Bundestags-Untersuchungsausschuss konstituiert, der die NS-Vergangenheit der neuen deutschen Diplomaten unter die Lupe nehmen wollte, aber das verhinderte nicht, dass 40 Prozent der Mitarbeiter, die der damalige Bundeskanzler und Außenminister Konrad Adenauer im Amt beschäftigte, alte NSDAP-Mitglieder waren. Auch das fördert die Studie zutage.

Die beteiligten Historiker zeigten sich im Einklang mit ihrer Arbeit und deren jetzt schon außerordentlich zu nennenden Wirkung. Eckart Conze konstatierte, die 2005 vom damaligen grünen Außenminister Joschka Fischer eingesetzte Kommission habe ihren Auftrag erfüllt. Norbert Frei erklärte, es freue ihn nicht nur als Historiker, sondern auch als Mensch und Staatsbürger, welches Geschichtsbewusstsein sich die Deutschen erarbeitet hätten. Peter Hayes sprach von der "Zivilcourage" der Deutschen, ihrer Vergangenheit ins Auge zu sehen. Zimmermann: "Dieses Deutschland ist ein anderes als das der 30er-, 40er- und sogar der 50er-Jahre."

Guido Westerwelle hatte das letzte Wort. "Wer die Vergangenheit nicht kennt", meinte der Bundesaußenminister mit Blick auf die Studie, "kann aus ihr nichts für die Zukunft lernen."