Sie predigt, betet und arbeitet: Margot Käßmann als Gast im Süden der USA. Das englische Wort für Größenwahn musste sie erst üben.

Atlanta/Hannover. Ein paar Sekunden zögert Margot Käßmann (52) beim Austeilen des Abendmahls. Der Mann, der vor ihr steht, möchte „gluten-freies“ Brot haben. Aber auch dafür ist gesorgt beim Festgottesdienst zum Reformationstag im amerikanischen Atlanta. Es gibt einen speziellen Brotkorb. Seit acht Wochen ist die ehemalige hannoversche Landesbischöfin zu Gast an der Emory-University in Georgia im Süden der USA. Sie hält noch bis Dezember Gottesdienste und Vorlesungen, nimmt an Podiumsdiskussionen teil und wird zu Vorträgen eingeladen.

„In Deutschland ist sie sehr beliebt“, sagt eine ältere Dame zu ihrer Sitznachbarin, bevor die Feier in der Universitätskirche beginnt. Auf diesen Gottesdienst hat sich die einstige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) akribisch vorbereitet. Sie hält nicht nur die Predigt, sondern ist für die gesamte Liturgie zuständig.

Jedes englische Wort, das ihr nicht vertraut ist, prägt sie sich vorher mit Hilfe eines akustischen Wörterbuchs im Internet ein. Ziemlich schnell hat sie die Lacher auf ihrer Seite, als sie über den Turmbau zu Babel spricht und zugibt, dass sie die Aussprache von „Megalomania“, auf Deutsch „Größenwahn“, erst einmal üben musste. Auch die beiden Damen nicken sich lächelnd zu.

Doch der eigentliche Faden in ihrer Predigt ist der deutsche Reformator Martin Luther, der in Emory eine besondere Rolle spielt. Die theologische Fakultät ist stolz darauf, mit rund 3500 Exponaten eine der größten Büchersammlungen der USA aus dem 16. Jahrhundert zu haben. Das ist vor allem dem Multi-Millionär und Luther-Liebhaber Richard Kessler zu verdanken. Er und weitere Sponsoren kommen jedes Jahr kurz vor dem Reformationstag am 31. Oktober zu einem mehrtägigen Kongress in Atlanta zusammen, dessen Höhepunkt dieser Festgottesdienst ist.

Sie sind sichtlich gerührt, als Käßmann die Einsetzungsworte für das Abendmahl auf Deutsch spricht und auch den Segen in der Sprache Luthers erteilt. Deutschland steht hier hoch im Kurs, und das einstige Oberhaupt der evangelischen Kirche ist sehr gefragt. „Fast jeden Tag bin ich irgendwo eingeladen“, freut sich Käßmann: „Es gibt ja keine bessere Möglichkeit, Land und Leute kennenzulernen.“

Wenn die promovierte Theologin nicht gerade zu Vorträgen in Kalifornien, Texas oder Boston unterwegs ist, schwingt sie sich morgens – zum Entsetzen der ausschließlich Auto fahrenden Fakultät – auf ihr grünes Fahrrad und radelt durch ein kleines Wäldchen am Football-Feld entlang zur Uni. Hier hat sie ihr Büro und vor allem eben die Luther-Bibliothek. Zwei bis drei Termine pro Tag – Besprechungen, Vorträge, Einladungen – sind normal.

„Aber immer alles in Ruhe“, lächelt sie und erinnert sich gut, dass dies bis vor acht Monaten anders war. Am 28. Oktober jährt sich ihre Wahl zur Ratsvorsitzenden. In den vier Monaten bis zu ihrem Rücktritt Ende Februar nach einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss jagte ein Termin den nächsten. Als erste Frau an der Spitze der EKD sorgte sie für viele Schlagzeilen, gesteigert noch durch ihre Kritik am Krieg in Afghanistan im Januar.

Wenn sie daran zurückdenkt, atmet sie erst einmal tief durch: „Es war eine schwierige Zeit, und natürlich spüre ich auch Wehmut und Traurigkeit.“ Zum ersten Mal seit 19 Jahren wird die ehemalige Generalsekretärin des Kirchentages nicht an der Tagung des EKD-Kirchenparlaments teilnehmen, die am 7. November in Hannover beginnt: „Die Synode hätte ich sehr gern als Landesbischöfin im Eröffnungsgottesdienst in der Marktkirche begrüßt. Und auf meinen ersten Bericht als Ratsvorsitzende habe ich mich gefreut.“

Offiziell wird sie nicht mehr Bischöfin genannt, sondern muss den Zusatz „im Ruhestand" dazu nennen. Denn von ihren Ämtern ist sie zurückgetreten. Allerdings nennen sie viele Bürger noch Bischöfin, denn sie gilt als beliebteste Kirchenfrau Deutschlands.

Vor einigen Tagen hat Käßmann Post und Glückwünsche aus der Heimat bekommen – zu ihrem 25-jährigen Ordinationsjubiläum. „Da schließt sich ja fast ein Kreis“, sagt sie nachdenklich. In Atlanta wurde der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King (1929-1968) geboren und begraben. Sein Einsatz für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit für alle Menschen hatte die damals 16-jährige Margot als Austauschschülerin in den USA einst zum Theologiestudium inspiriert. In Kings Ideen fand die leidenschaftliche Predigerin ihr Lebensthema.

Von Januar an wird sie sich diesem Thema wieder in Deutschland widmen. Ein Jahr lang wird sie als Gastprofessorin an der Ruhr-Universität in Bochum lehren. Und danach? Mit dem für sie so typischen Gottvertrauen antwortet sie: „Das liegt in Gottes Hand.“