Unionsfraktionschef Volker Kauder über die Neuberechnung von Hartz IV, Mindestlöhne für Leiharbeiter - und die Gesundheit von Schäuble.

Auf ihn ist Angela Merkel angewiesen wie auf kaum einen zweiten. Von ihm erwartet die Kanzlerin, dass er die mächtige Unionsfraktion im Bundestag zur Unterstützung der Regierungspolitik bewegt. Im Abendblatt-Interview sagt Volker Kauder (CDU), wie er die Auseinandersetzung über die großen Projekte von Schwarz-Gelb führen will.

Hamburger Abendblatt:

Nach Stillstand und Streit trifft die Regierung jetzt Entscheidungen. Hat die vergangene Woche der schwarz-gelben Koalition den Durchbruch gebracht, Herr Kauder?

Volker Kauder:

Es weht jetzt ein anderer Wind.

Fünf Euro für Hartz-IV-Empfänger, Milliarden für Atomkonzerne - auch das ist eine Bilanz dieser Tage. Handelt diese Regierung gerecht?

Kauder:

Das Bundesverfassungsgericht hat keine Erhöhung der Regelsätze für die Hartz-IV-Empfänger verlangt, sondern eine nachvollziehbare Berechnung für die Gewährung des Existenzminimums. Die liegt nun vor. Die fünf Euro sind aufgrund dieser Berechnung gerecht. Bei der Verlängerung der Atom-Laufzeiten schöpfen wir 58 Prozent des zusätzlichen Gewinns ab. Damit sorgen wir dafür, dass die großen Konzerne Milliarden zur Entwicklung erneuerbarer Energien beisteuern.

Sie stopfen vor allem Haushaltslöcher mit dem abgeschöpften Gewinn.

Kauder:

Die Kernbrennstoffsteuer fließt in den Bundeshaushalt. Daneben wird auch ein großer Batzen der Gewinne für einen Fonds abgeschöpft, mit dem die Energiewende in Deutschland mitfinanziert wird. Wir gehen davon aus, dass dies bis 2018 rund 15 Milliarden Euro sind. SPD und Grüne sind aus der Atomkraft ausgestiegen. Das war es aber auch. Wir sind es, die in die erneuerbaren Energien einsteigen.

Wann wird das letzte deutsche Atomkraftwerk stillgelegt?

Kauder:

Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil das Energiekonzept letztlich die Strommengen erhöht, die mit Kernenergie produziert werden können. Wir betrachten die Kernenergie aber nur als eine Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wir erhöhen dabei übrigens die Sicherheitsstandards, was Rot-Grün versäumt hat. Es werden keine neuen Kraftwerke gebaut. Die Produktion von Atomstrom ist also endlich.

Sind 2050 noch Kernkraftwerke am Netz?

Kauder:

Ich kann mich auf keine Jahreszahl festlegen.

Die Entscheidungen zur Laufzeitverlängerung und zu Hartz IV könnten am Bundesverfassungsgericht scheitern. Was würde das für die Regierung Merkel bedeuten?

Kauder:

Ich bin davon überzeugt, dass beide Entscheidungen - die Hartz-IV-Reform und die Laufzeitverlängerung - verfassungsfest sind. Für die Laufzeitverlängerung brauchen wir auch nicht die Zustimmung des Bundesrats. Das haben unsere Verfassungsminister - Innenminister Thomas de Maizière und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger - klar dargelegt.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die Opposition der Reform von Hartz IV noch zustimmt?

Kauder:

Im Bundestag wird sie wohl kaum zustimmen. Da reicht aber unsere eigene Mehrheit. Im Bundesrat werden wir die Verhandlungen führen. Ich sehe nur, dass die ersten Krawalltöne leiser werden.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen? Den Regelsatz um zehn Euro zu erhöhen?

Kauder:

Verhandlungen wie auf einem Basar wären nicht sachgerecht. Es muss uns doch vor allem darum gehen, die Hartz-IV-Empfänger in Arbeit zu bringen. Das gebietet das christliche Menschenbild, welchem wir als Union verpflichtet sind. Ich sage: Der Regelsatz ist gerecht errechnet, und darum muss es bei ihm bleiben.

Die Opposition will Mindestlöhne als Gegenleistung.

Kauder:

Der Mindestlohn hat mit der Hartz-IV-Regulierung gar nichts zu tun. So werden wir uns nicht einig.

Sie wollen größere Anreize für Langzeitarbeitslose setzen, einen regulären Job anzunehmen. Was schwebt Ihnen vor?

Kauder:

Ich möchte, dass Hartz IV nicht zu einem Dauereinkommen wird. Die Menschen müssen so schnell wie möglich wieder aus Hartz IV herauskommen. Daher sollten wir die Hinzuverdienste neu organisieren: Je höher der Verdienst aus regulärer Arbeit ist, desto mehr soll dem Arbeitslosen davon bleiben.

Heißt konkret?

Kauder:

Wer in einer Größenordnung von 800 bis 1200 Euro angekommen ist, braucht Hartz IV nicht mehr. Es muss also einen Anreiz geben, möglichst viel hinzuzuverdienen. Das bisherige Modell ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Für die Details müssen wir Gutachten abwarten, die das Arbeitsministerium in Auftrag gegeben hat. Am 20. Oktober wird die neue Hartz-IV-Gesetzgebung im Kabinett verabschiedet.

Welche Rolle wird die Bildungschipkarte spielen, für die sich Arbeitsministerin von der Leyen besonders einsetzt?

Kauder:

Wir wollen Kindern bessere Chancen geben. Über Sachleistungen wie die Gebühr für den Turnverein sollen sie neue Perspektiven erhalten. Für die konkrete Umsetzung der Idee gibt es unterschiedliche Modelle - eins davon ist die Chipkarte. Wir müssen aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bis zum Jahreswechsel umsetzen. Die verbleibende Zeit reicht nicht, um die Infrastruktur für die Bildungschipkarte aufzubauen. Deswegen denken wir an ein anderes System. Die Chipkarte ist aber nicht vom Tisch.

Entspricht es konservativer Politik, Eltern die Entscheidung abzunehmen, wie sie staatliche Hilfen für ihre Kinder einsetzen?

Kauder:

Die allermeisten Eltern machen das schon richtig. Wir wissen aber auch, dass es Eltern gibt, die das Geld nicht zum Nutzen ihrer Kinder einsetzen. Wir gewähren allen weiter die Geldleistung. Die Sachleistung kommt nun aber hinzu.

Was verstehen Sie unter konservativ?

Kauder:

Wir machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes. Die CDU darf sich nicht auf das Konservative beschränken. Das C bietet viel mehr. Die CDU ist eine Volkspartei, in der es auch liberale und soziale Strömungen gibt.

Entspricht es dem christlichen Menschenbild, dass immer mehr Menschen nur befristet angestellt werden?

Kauder:

Befristete Arbeitsverhältnisse können der Einstieg in dauerhafte Arbeitsverhältnisse sein. Sie dürfen reguläre Arbeitsplätze aber nicht verdrängen.

Wie wollen Sie Lohndumping verhindern?

Kauder:

Ich sehe mit großem Interesse, dass in der Stahlbranche eine sogenannte Fairnessklausel im Tarifvertrag verankert wurde. Ziel ist, dass der Leiharbeiter den gleichen Lohn bekommt wie der Festangestellte. Ich wünsche mir, dass die Tarif-Vereinbarung in der Stahlindustrie auch in anderen Branchen Schule macht.

Ist auch der Staat gefordert?

Kauder:

Wenn die Tarifpartner sich einig werden, muss der Gesetzgeber nicht tätig werden. Allerdings sollten wir über eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit nachdenken. Wenn sich im nächsten Jahr die Grenzen öffnen und Arbeitskräfte aus osteuropäischen Staaten kommen, darf es kein Lohndumping geben.

Ist es konservativ, die Wehrpflicht abzuschaffen?

Kauder:

Die Lage hat sich verändert. Wir verteidigen unsere Sicherheit, wo Terrorismus entsteht - beispielsweise in Afghanistan. Darauf muss die Bundeswehr ausgerichtet sein. Der Bundesverteidigungsminister hat mich davon überzeugt, dass die Wehrpflicht ausgesetzt werden kann.

Sie sind immer als entschiedener Befürworter der Wehrpflicht aufgetreten. Glücklich können Sie jetzt nicht sein ...

Kauder:

Ich war immer der Meinung, dass es keinem jungen Menschen schadet, wenn er einige Zeit seinem Land in einer ganz zentralen Aufgabe wie der Landesverteidigung dient. Aber wenn dieser Dienst nicht mehr notwendig ist, darf man jungen Leuten nicht einfach ihre wertvolle Lebenszeit per Gesetz wegnehmen.

Herr Kauder, Wolfgang Schäuble ist wieder für lange Zeit im Krankenhaus. In der Koalition wird bereits über eine Kabinettsumbildung spekuliert. Sie selbst sind als Innenminister im Gespräch. Was ist dran?

Kauder:

Ich bin mir sicher, dass Wolfgang Schäuble nach seiner Genesung die Amtsgeschäfte wieder aufnehmen wird. Alle Diskussionen sind also absolut überflüssig.