Die Kirche drückt den Neustart-Knopf. Nach dem Missbrauchsskandal will sie das Vertrauen der Gläubigen zurückgewinnen.

Trier. Anfang des Jahres erschütterte ein beispielloser Missbrauchsskandal die Gläubigen quer durch die Republik - nun kämpft diekatholische Kirche um ihren Ruf. Geschockt, entsetzt und fassungslos zeigten sich die Kirchenoberen – und wollen nun, dass sich so etwas nie mehr wiederholt. Es müsse alles getan werden, „damit Kinder und Jugendliche künftig einen größtmöglichen Schutz vor potenziellen Tätern genießen“, sagte der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, am Dienstag in Trier.

Die neuen Leitlinien, die die deutschen 27 Diözesanbischöfe „in einem breit angelegten Gesprächsprozess“ in den vergangenen Monaten erarbeitet haben, sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin. Denn sie enthalten, was manche als großen Wurf bezeichnen: Eine generelle Anzeigenpflicht, wenn es bei einem Geistlichen oder einem Kirchenmitarbeiter einen Verdacht auf sexuellen Missbrauch gibt. Mit der einen Ausnahme: Das Opfer will nicht. Dann geht nichts an die Staatsanwaltschaft weiter.

Und hier liegt das Manko der Formel, sagen andere. Denn die Frage ist und bleibt, wie viele Opfer eine Strafverfolgung – mit all den Folgen für sie selbst – überhaupt wollen. „Es gibt verschiedene Opfertypen“, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann. Einige suchten ein Gespräch, „um sich von der Seele zu reden“, andere wollten eine innerkirchliche Konfrontation mit dem Täter. Wie viele mit strafrechtlichen Ermittlungen einverstanden sein werden, wird sich daher erst noch zeigen. „Es ist schwer, da Proportionen zu nennen“, sagte Ackermann.

Dennoch – die neuen Regeln gehen deutlich über die bisherigen hinaus, sind entschlossener und umfassender. Sie erleichtern den Opfern eine Kontaktaufnahme und machen Tätern das Leben schwerer. Sicher ist: Es wird genauer hingeschaut. Wer künftig in der Kinder- und Jugendarbeit eingesetzt ist, muss ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „ Null Toleranz gegenüber Missbrauch “, sagte Ackermann.

Der neue Regel-Katalog könnte auch dazu beitragen, über die vergangenen Monate verloren gegangenes Vertrauen der Kirche zurückzugewinnen. Er ist eine Antwort, kein Befreiungsschlag. Schwer getroffen von der Flut von Missbrauchsfällen – und angeschlagen von einer massiven Kirchenaustrittswelle wollen die Bischöfe mit den Leitlinien zeigen, dass es ihnen mit dem Kampf gegen sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen ernst ist. Bei allen Vorwürfen, den man der Kirche im Hinblick auf die zig Missbrauchsfälle, die teils Jahrzehnte zurückliegen, machen kann - eines kann man ihr kaum vorwerfen: Dass sie jetzt nicht gehandelt hat.

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Ende Februar wurde der Posten des Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz geschaffen. Der Trierer Bischof Ackermann bekam den „Job“ und ist seitdem fast täglich mit der Aufklärung und Aufarbeitung des Missbrauchs beschäftigt. Mehr als 500 Briefe hat er in den vergangenen Monate direkt oder über sein Büro in Bonn bekommen. „Von Opfern, die uns ihre traumatischen Erlebnisse anvertrauten, von Gläubigen, die von der katholischen Kirche enttäuscht sind, aber auch von Experten, die uns ihre Hilfe angeboten haben“, sagte er. Für den 47-Jährigen ist klar: Eine Vertuschung und Verschleierung von sexuellem Missbrauch darf es nicht mehr geben. Unter seiner Ägide fiel der Startschuss für die Telefon-Hotline der katholische Kirche für Missbrauchsopfer. Der Bedarf war da: Etwa 23000 Anrufversuche, mehr als 3000 Gespräche und 200 Online- Beratungen – in denen Opfern geholfen werden sollte.

Geholfen hat es aber auch der Kirche, hat sie doch erfahren, was sie anders machen muss, um Verbrechen an Kindern und Jugendlichen künftig zu verhindern. Die Leitlinien zeigen aber auch, dass die Bischöfe nach wie vor vor schwierigen Fragen stehen. Ungelöst bleibt, ob und wie die katholische Kirche auch finanziell für das Fehlverhalten ihrer Vertreter einstehen muss. Ackermann verschob eine Entscheidung, signalisierte aber, dass die Kirche einen eigenen Vorschlag machen werde. Zunächst müsse mit dem „Runden Tisch“ gesprochen werden, an dem auch Politiker, Sachverständige und Opferorganisationen sitzen. Eine Entschädigung könnte die Kirche teuer zu stehen kommen. In den USA kosteten die Verfehlungen von Priestern die Kirche seit 1950 mehr als 2,6 Milliarden Dollar. Und in Irland brachten kirchliche Orden 2009 einen Entschädigungsfonds von 2,1 Milliarden Euro auf den Weg.