Am Freitagabend haben die Abrissarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof begonnen. Hunderte Gegner des Milliardenprojekts streikten.

Stuttgart. Bei Nacht, aber nicht im Nebel rollt am Freitagabend, kurz nach 20.00 Uhr, der Bagger an. Bauzäune werden aufgestellt. Nur Minuten später geht der Alarm der Mahnwache per E-Mail und SMS an tausende Park- und Bahnhofsschützer. Schnell sind laut Polizei rund 700 da, um gegen den Abriss erster Teile des historischen Hauptbahnhofs für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 zu protestieren. Trotz kleinerer Zwischenfälle bleibt es im Großen und Ganzen friedlich.

Freitag, 21.30 Uhr: „Wir sind das Volk!“, skandiert die Masse, oder „Wessen Zukunft? Unsere Zukunft! Wessen Bahnhof? Unser Bahnhof! Wessen Geld? Unser Geld!“. Mit ausgedienten WM-Vuvuzelas und Trillerpfeifen machen die Protestler ihrem Ärger Luft. Sie schwenken Fahnen und blockieren Straßen. Einige setzen sich vor den Nordeingang. Polizisten tragen sie weg. Insgesamt sichern rund 150 Beamte Baustelle und Kreuzungen. „Wir sind schon überrumpelt worden“, räumt Fritz Mielert, Sprecher der Parkschützer, ein. Die Gegner verlangen den „sofortigen Abbruch aller Arbeiten“, manche fordern den Rücktritt des Stuttgarter Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster (CDU). Später werden einige Demonstranten vorläufig festgenommen.

Samstag, 08.00 Uhr: Ruhe nach dem Sturm. Die Polizisten sind größtenteils abgezogen, nur zwei bewachen noch den Bauzaun. Rund 20 Abrissgegner stehen vor dem Nordflügel. Einer diskutiert durch den Zaun eifrig mit Bahnangestellten.

Samstag, 12.00 Uhr: Laute Sprechchöre in der Stuttgarter Fußgängerzone. Rund 300 Abrissgegner haben sich nach Polizeiangaben zusammengefunden und protestieren gegen die „Nacht- und Nebel-Aktion“ der Bahn. Kurz zuvor hatte Wolfgang Drexler, Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21, den Vorwurf im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa von sich gewiesen. Es sei immer gesagt worden, dass am 1. August mit den Vorarbeiten zum Abriss des Nordflügels begonnen werde, betonte der SPD-Politiker.

Samstag, 19.30 Uhr: Neuer Anlauf. Von 2 000 Demonstranten spricht die Polizei diesmal, die Abrissgegner von 2 500. Am Nordflügel starten sie zu einem einstündigen Demonstrationszug durch die Innenstadt. „Schuster lass den Bahnhof stehen oder du musst sofort gehen!“, tönt es durch die Straßen, oder: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns den Bahnhof klaut!“ Wo die Protestler langziehen, müssen Autos warten. Manche Fahrer wenden waghalsig und starten in Gegenrichtung. Immer wieder betonen die Organisatoren, dass sie keine Randale wollen. Als der Menschenzug wieder am Bahnhof eintrifft, können sie zufrieden sein. Die Polizei meldet: keine Gewalt und keine Festnahmen.

Sonntag, 19.00 Uhr: Wieder versammeln sich nach Polizeiangaben mehr als 1 000 Demonstranten vor dem Hauptbahnhof. Die Veranstalter sprechen von 3 000. Unter ihnen ist auch der Schauspieler Walter Sittler. Nach einigen Ansprachen marschieren die Gegner mit Trillerpfeifen und Protestrufen durch die Stuttgarter Innenstadt. Die Bahn hatte den „Rückbau“ des nördlichen Seitenflügels für Anfang August angekündigt. Innerhalb von drei Monaten soll der Gebäudeteil abgetragen werden. Der offizielle Startschuss für das milliardenteure Großvorhaben Stuttgart 21 war am 2. Februar gefallen. Der Stuttgarter Hauptbahnhof soll als Durchgangsstation unter die Erde verlegt und mit der Schnellbahntrasse nach Ulm verbunden werden.