CSU-Chef Seehofer will AKW unbegrenzt laufen lassen. Opposition wirft ihm Atomlobbyismus vor, Linke-Chef Ernst fordert “Öko-TÜV“.

Hamburg/München. Eigentlich war es ein dankbarer Termin. Selbst in Zeiten mieser Umfragewerte. Am Wochenende diskutierte Horst Seehofer mit dem CSU-Nachwuchs auf der Hauptversammlung der bayerischen Jungen Union. Doch gleich der erste Delegierte übte scharfe Kritik am Chef. Es fehle der Partei der Blick für die Zukunft. Dabei sei es nicht gerade modern, auf Atomkraft zu setzen. Seehofer blieb äußerlich gelassen und konterte, er wolle die Kernenergie "in dem Umfang zurückfahren, wie es gelingt, regenerative Energien nach vorne zu bringen".

In spätestens vier Wochen will die Bundesregierung verkünden, um wie viele Jahre die Laufzeiten der 17 deutschen Atomkraftwerke verlängert werden. Doch immer lauter streiten die Koalitionäre über das Energiekonzept. Nachdem sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) vergangene Woche für eine Verlängerung nur um wenige Jahre ausgesprochen hatte, will sich CSU-Chef Seehofer gar nicht auf eine zeitliche Begrenzung festlegen. Der bayerische Ministerpräsident unterstützt damit die Forderungen des Deutschen Atomforums. Das hatte gefordert, die Meiler sollten "so lange laufen, wie sie sicher sind". Von der Förderung regenerativer Energien ist in Seehofers Worten allerdings kaum etwas zu hören.

Der Maßstab, ob und wie lange ein Kernkraftwerk laufe, müsse doch zuallererst die Sicherheit sein, sagte Seehofer der "Frankfurter Rundschau": "Deshalb wollen wir auch nicht mit konkreten Jahreszahlen in die Verhandlungen der Koalition gehen." Seehofer lehnte zudem eine finanzielle Belastung der Stromkonzerne über die geplante Brennelementesteuer mit einem Volumen von 2,3 Milliarden Euro hinaus ab.

Die Frage über die Zukunft der Atomkraft - an ihr reibt sich Schwarz-Gelb auf. Dabei will das Bundeskabinett laut "Frankfurter Rundschau" schon am Mittwoch über einen Aktionsplan des Umweltministers abstimmen, der Laufzeiten nur in sehr geringem Maße verlängert. Nach dem bisher geltenden Beschluss von Rot-Grün würde der letzte Atommeiler derzeit etwa 2025 vom Netz gehen.

Entsprechend reagierten beide Parteien mit Empörung auf Seehofers Forderungen. Die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, erklärte in Berlin, Seehofers Vorschläge seien "Atomlobbyismus pur auf Kosten gegenwärtiger und zukünftiger Generationen". SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte das Verhalten des bayerischen Ministerpräsidenten verantwortungslos. "Die Gewinne im Süden, den Atommüll nach Norden - das ist das energiepolitische Konzept von CDU und CSU", sagte Gabriel.

Kritik gegen Seehofers Forderung kommt auch aus den Reihen der schwarz-gelben Koalition. Der umweltpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kauch, erklärte, unbegrenzte Laufzeiten seien mit dem Koalitionsvertrag nicht vereinbar.

Atomenergie hatte 2009 einen Anteil an Deutschlands Stromerzeugung von 22,6 Prozent. Klar ist bisher nur, dass die Konzerne bei längeren Laufzeiten 50 Prozent ihrer Extragewinne abgeben sollen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) berechnet den jährlichen Zusatzgewinn für die Konzerne auf rund 6,4 Milliarden Euro. Besonders günstig ist der Strom aus alten AKW, eine Kilowattstunde kostet rund einen Cent. Da diese Atommeiler abgeschrieben sind und ihre Kosten längst eingespielt haben, ist hier die Gewinnspanne am höchsten. Zwar sind erneuerbare Energien von der Wind- und Sonnenkraft bis zur Biomasse auf dem Vormarsch. Doch die fossilen Energieträger Kohle und Erdgas dominieren nach wie vor die Stromerzeugung.

Ausstieg aus der Atomenergie

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hatte im Abendblatt gefordert, Kohle künftig als Energielieferanten noch stärker zu nutzen - anstatt längerer Atomlaufzeiten. Gleichzeitig hatte er angeboten, in Sachsen unterirdische Lager für Kohlendioxid einzurichten. Der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, lehnte Tillichs Vorstoß ab. "Die CO2-Verpressung löst das Kernproblem der abnehmenden Rohstoffreserven nicht und schafft neue Risiken", sagte er. Ernst fordert stattdessen einen Öko-TÜV für alle energiepolitischen Maßnahmen. "Sie müssen darauf überprüft werden, ob sie dem Klimaschutz nutzen und den Umstieg auf erneuerbare Energien unterstützen", sagte der Linken-Chef.

Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts könne der Umstieg auf erneuerbare Energien gelingen, wenn der politische Wille da sei. "Bis dahin könnte auch die ostdeutsche Braunkohle genutzt werden, ohne dass neue Gebiete abgebaggert werden müssen", sagte Ernst.