Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) will den Volksentscheid beim Thema Beitritt der Türkei in die EU nicht ausschließen.

Berlin. Kurz vor seiner Türkeireise hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle Hoffnungen auf einen baldigen EU-Beitritt der Türkei eine Absage erteilt und dabei einen späteren Volksentscheid nicht ausgeschlossen. "Müsste die Frage heute entschieden werden, wäre die Türkei nicht beitrittsfähig und die Europäische Union nicht aufnahmefähig", sagte der FDP-Vorsitzende der "Bild"-Zeitung. Allerdings handele es sich dabei um ein Thema, das ohnehin erst "in Jahren" anstehe: " Wer den Eindruck erweckt, der Beitritt stünde vor der Tür, liegt (...) gänzlich falsch." Gefragt, ob es über den EU-Beitritt der Türkei einen Volksentscheid geben sollte, sagte Westerwelle lediglich: "Man sollte jetzt nicht über Dinge sprechen, die erst in 30 Jahren anstehen."

In der vergangenen Woche hatte nach dem Volksentscheid über die Primarschule in Hamburg der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene zu wichtigen europapolitischen Fragen gefordert, insbesondere über den Türkei-Beitritt zur EU. Sein Argument: "Es stärkt die Demokratie, wenn das Volk bei Zuständigkeitsübertragungen oder auch dem Beitritt großer Staaten wie der Türkei selbst entscheiden kann." Und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hatte zuvor daran erinnert, dass ihre Partei seit Jahren versuche, Volksentscheide auf Bundesebene durchzusetzen, damit aber an der Union gescheitert sei.

Das war allerdings nur die halbe Wahrheit - denn über den in Westeuropa und in Deutschland hoch umstrittenen EU-Beitritt der Türkei möchte die SPD augenscheinlich nicht abstimmen lassen. "Da sollten wir uns an die Kriterien halten, die auch für die anderen Beitrittsländer gegolten haben", sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, dem Hamburger Abendblatt. "Und der Bundesaußenminister sollte auch keine neuen Regelungen herbeiformulieren."

Seit 2005 verhandelt die EU-Spitze mit der Türkei über einen möglichen Beitritt. Von den mehr als 30 Verhandlungskapiteln sind allerdings immer noch 18 blockiert. In der Union gibt es massive Widerstände gegen eine Vollmitgliedschaft des muslimisch geprägten Landes in der Europäischen Union.

Doch obwohl Beobachter schätzen, dass bei einem etwaigen Volksentscheid über den Beitritt der Türkei circa 80 Prozent der Deutschen mit Nein stimmen würden, hält die CDU im Gegensatz zu ihrer Schwesterpartei CSU nichts von diesem Instrument. "Man kann nicht Volksentscheiden auf Bundesebene kritisch gegenüberstehen und dann in einzelnen Fragen eine Ausnahme machen, nur weil man sich das ,richtige' Ergebnis davon erhofft", begründete der Innenausschuss-Vorsitzende Wolfgang Bosbach seine Position im Hamburger Abendblatt.

Die Grünen sehen das anders. Sie befürworten bei wichtigen europapolitischen Fragen grundsätzlich EU-weite Volksentscheide und engagieren sich deshalb in der "Europäischen Bürgerinitiative" (siehe rechts). Allerdings gibt es aus der Partei derzeit keine klare Antwort auf die Frage, ob so ein Volksentscheid auch über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei durchgeführt werden sollte. "Frankreich wird auf jeden Fall ein Referendum zu dieser Frage machen, wenn die Verhandlungen mit der Türkei positiv abgeschlossen werden. Warten wir doch das Ergebnis mal ab", wich der grüne Hamburger Bundestagsabgeordnete und Europaexperte Manuel Sarrazin gestern aus, als er vom Abendblatt gefragt wurde, ob er explizit auch Referenden über anstehende EU-Beitritte befürworte.

Die Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir wollten sich gestern nicht zu dieser Frage äußern. Roth hatte sich allerdings gerade erst im Nachgang des Hamburger Volksentscheids für mehr Volksentscheide auf Bundesebene ausgesprochen, da diese die Demokratie belebten. So schlug Roth vor, die Bevölkerung über die von der Koalition geplante Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken abstimmen zu lassen.

Unterdessen zeigte sich der britische Premierminister David Cameron verärgert über die schleppenden EU-Beitrittsverhandlungen und übte indirekte Kritik an Deutschland und Frankreich. Er sei "wütend" darüber, wie die Fortschritte der Türkei hin zu einem EU-Beitritt durchkreuzt würden, sagte Cameron. Großbritannien ist zusammen mit Schweden einer der stärksten Befürworter des Beitritts.