Auf dem Gebiet der Panikforschung sind deutsche Wissenschaftler führend

Aus Computersimulationen wissen Panikforscher, dass Menschen, die aus einem Raum flüchten wollen, sich gegenseitig blockieren können. "Stillstand durch Bewegung" nennen sie das: Wenn die Hinteren schieben und vorn der Ausgang blockiert ist, werden Menschen zu Tode gedrückt. Überall dort, wo Engpässe mit einer hohen Menschendichte auf begrenztem Raum eintreten, können selbst gering scheinende Anlässe katastrophale Folgen haben; so wie im Irak am 31. August 2005, als das Gerücht über einen Selbstmordattentäter eine Massenpanik unter über hunderttausend Pilgern auslöste, die versuchten, über eine schmale Brücke zu fliehen: Rund 1000 Menschen starben damals im Gedränge.

Dass jedoch allein durch das Zustandekommen großer Zahlen von Menschen an einem Ort eine Panik ausgelöst werden kann, ist empirisch nicht gesichert. Auch ist es schwierig abzugrenzen, ob eine Gefahr zu einer Massenpanik geführt hat oder ob erst die Massenpanik diesen gefährlichen Zustand verursacht hat: Doch die meisten dieser Katastrophen wurden durch typische Auslöser hervorgerufen, zum Beispiel durch Feuer oder durch Randale, was für den Einzelnen jeweils eine unmittelbare Gefahr darstellt.

Der deutsche Soziologieprofessor Dirk Helbing, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich lehrt und als Mitbegründer der Panikforschung gilt, nennt die Faktoren, die zu einer Massenpanik führen:

1. Menschen bewegen sich deutlich schneller als normal.

2. Drücken und schubsen beginnt, Körperkontakt wird intensiver, das Vorwärtskommen wird unkoordinierter.

3. Erste Stauungen an den Ausgängen.

4. Menschen werden eingeklemmt, der Druck wächst: Kräfte von bis 4,5 Tonnen pro Quadratmeter können Mauern zum Einsturz bringen.

5. Tote, Verletzte und die am Boden ums Überleben kämpfenden Menschen stellen weitere Hindernisse dar.

6. Die Betroffenen beginnen zunehmend, sich am Verhalten der anderen zu orientieren.

7. Andere Ausgänge werden übersehen oder nicht mehr genutzt.

Am häufigsten ist das Phänomen der Massenpanik bisher bei Fußballspielen und Pilgerfahrten sowie in Diskotheken aufgetreten. Als Haupttodesursache gilt die Asphyxie, eine dramatische Sauerstoffmangelversorgung des Körpers, die durch massiven äußeren Druck auf den Brustkorb ausgelöst wird: Ab 300 Kilogramm Last kann kein Mensch mehr atmen. Durch den enormen Druck können zudem Organe zerrissen werden; der Mensch verblutet innerlich. Andere typische Verletzungen sind Schädel-Hirn-Traumata und Knochenbrüche.

Erstaunlicherweise handeln Menschen in der Masse zumeist überlegt und uneigennützig. Nach einer Analyse des Panikforschers Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen - der die Pläne der Loveparade 2010 kannte - würden sie geradezu geordnet, gefasst und ruhig ihrem Untergang entgegengehen. Der einzig wirksame Schutz vor Massenpanik, darin sind sich die Wissenschaftler einig, bestehe in der Prävention: Fluchtwege müssen so gebaut werden, dass die Menschenmasse einem Schwarm Heringe gleich hindurchströmen kann, denn jeder Stillstand kann tödlich sein. Führung durch Befehle gelänge meist nur in den ersten Sekunden. Und in Duisburg hätte der Lärm der Musik sowieso wahrscheinlich jede Durchsage übertönt.