Die Kanzlerin verabschiedete sich mit Verteidigungsrede und trotz vieler ungelöster Probleme gelassen in den Sommerurlaub.

Berlin. Es war eine aufgeräumt wirkende, ja strahlende Angela Merkel, die sich da am Mittwoch in Berlin vor den Parlamentskorrespondenten in die Ferien verabschiedete. Offenbar fest entschlossen, sich von den aktuellen Daten der Demoskopen die Vorfreude auf die Sommerfrische nicht nehmen zu lassen, übte sich die Kanzlerin in Optimismus. Die unausgesprochene Überschrift ihres Auftritts lautete, dass diese Koalition besser sei als ihr Ruf. Dass ihr Ruf derzeit so schlecht sei, liege vor allem am "nicht akzeptablen" Umgangston einiger Akteure. Deswegen seien Debatten allerdings nicht grundsätzlich zu verteufeln - diese Botschaft war der in weißem Blazer zu schwarzer Hose erschienenen Kanzlerin gestern wichtig.

Im Gegenteil: Angesichts internationaler Krisen und Herausforderungen wie der Rettung des Euro müsse schon darüber diskutiert werden dürfen, was denn nun der richtige Weg sei. Ergo: "Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es nie wieder eine Diskussion über irgendetwas gibt." Neuen Streit zur Urlaubszeit wollte sie aber trotzdem lieber nicht entfachen - entsprechend vorsichtig formuliert waren ihre Anmerkungen zu zentralen Politikfeldern. Das Abendblatt erläutert wichtige Punkte:

Konjunktur: Angela Merkel sagte, mit dem "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" zu Beginn des Jahres sei ein wichtiger Konjunkturimpuls gesetzt worden. Tatsächlich wurden hier Steuerentlastungen für Familien mit Kindern im Umfang von 4,6 Milliarden Euro beschlossen und etwa das Schonvermögen für die private Altersvorsorge bei Arbeitslosen verdreifacht sowie Ungerechtigkeiten in der Erbschaftssteuerbelastung beseitigt. Ebenfalls mit im Paket war allerdings auch die umstrittene Steuersenkung für Hoteliers, die in führenden Unionskreisen inzwischen als "Ursünde" der schwarz-gelben Koalition gilt. Darauf ging Merkel nicht ein - auch nicht, als sie gefragt wurde, welche drei Entscheidungen sie im Rückblick lieber anders getroffen hätte. Wünsche frei habe sie ohnehin erst wieder zu Weihnachten. Allerdings sei die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ein "kleines Wunder", da die Zahl der Arbeitslosen niedriger sei als in Zeiten vor der Krise.

Finanzen: Für die im Koalitionsvertrag verankerten Steuersenkungen im Umfang von 24 Milliarden Euro sieht Merkel trotz der Konjunkturerholung keinen Spielraum. "Die Prioritäten müssen jetzt erst einmal auf Haushaltskonsolidierung gelegt werden." Lieber kam die Kanzlerin auf die die nationalen und internationalen Erfolge im Kampf gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise zu sprechen, etwa die Griechenlandhilfen, die verhindert hätten, dass am Ende die gesamte Währungsunion auseinanderbricht. Tatsächlich wird außerdem in Deutschland, Frankreich und England die Bankenabgabe eingeführt. Bereits beschlossen wurde eine Reform der Finanzaufsicht. Auch die Regeln für Bonuszahlungen und die Risikobeteiligung von Banken sind jetzt schärfer.

Was den Bundeshaushalt betrifft, so verteidigte Angela Merkel das Anfang Juni auf den Weg gebrachte Sparpaket, das den Bund bis 2014 um 82 Milliarden Euro entlasten soll. Die bei der FDP wieder laut gewordene Detailkritik sei "Teil eines Arbeitsprozesses", beschied sie knapp. Tatsächlich sind viele Fragen weiter offen. Doch von drastischen Machtworten, wie sie ihr Vorgänger Gerhard Schröder mitunter pflegte, hält die Kanzlerin immer noch nichts: "Die Gestaltungsmacht, die mir gegeben ist, spiegelt sich in jedem meiner Worte - egal, wie es ausgesprochen ist."

Rot-Grün in Umfrage mit absoluter Mehrheit

Gesundheit: Angela Merkel legte gestern Wert auf die Feststellung, dass ein wichtiges Ziel mit der jetzt angestoßenen Gesundheitsreform erreicht werde - nämlich die schrittweise Entkoppelung der Krankenkassenbeiträge von den Arbeitskosten. Tatsächlich sollen Versicherte künftige weitere Mehrausgaben für Ärzte, Kliniken und Arzneimittel über individuell von den Kassen erhobene Zusatzbeiträge zahlen, die Arbeitgeberbeiträge werden eingefroren. Doch nach den bisherigen Vereinbarungen soll 2011 auch der normale Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen - eigentlich wollte die Koalition genau das unbedingt vermeiden.

Wehrpflicht: Die Wehrpflicht soll nach dem Willen von Angela Merkel nicht vollständig abgeschafft werden. Derzeit würden Konzepte für die Bundeswehr im 21. Jahrhundert entwickelt, sie "denke aber, dass wir auf keinen Fall aus dem Grundgesetz die Wehrpflicht streichen werden". Damit sind Forderungen der FDP vom Tisch, die Wehrpflicht ersatzlos zu streichen - allerdings nicht die derzeit in Regierungskreisen diskutierte "Aussetzung" des Dienstes an der Waffe. Dabei wurde der Wehr- und Zivildienst gerade erst von neun auf sechs Monate verkürzt.

Energie/Atom: Auch hier lächelte Angela Merkel über offene Fragen hinweg. Erst im Herbst soll geklärt sein, um wie viele Jahre die Laufzeiten der Atommeiler verlängert werden. Die Wirtschaftsflügel von Union und FDP fordern, dass Kernkraftwerke mindestens 15 Jahre länger am Netz bleiben dürfen, Umweltminister Norbert Röttgen will unter diesem Wert bleiben. Die Kanzlerin hielt sich dazu bedeckt, warnte aber vor zu hohen Belastungen der Energiewirtschaft. "Es hat ja keinen Sinn, wirtschaftlich arbeitende Unternehmen mit Rahmenbedingungen zu belasten, bei denen sie zum Schluss kein Geld mehr verdienen können", sagte sie.

Bisher steht allerdings nur fest, dass die Atomindustrie mit einer Brennelementesteuer belastet werden soll, die dem Bund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr bringen könnte. Das gilt als moderat.