Der Leistungskatalog der Krankenkassen steht auf dem Prüfstand. Der Bund will die Erstattung von Naturheilverfahren einsparen.

Hamburg. Ein paar Kügelchen gegen die Grippe. Nadelstiche gegen Rückenschmerzen und osteopathisches Handauflegen, um herauszufinden, wo der Körper außer Balance geraten ist: Millionen Deutsche schwören auf homöopathische Behandlung. Einige Krankenkassen bieten sie in ihren Wahltarifen an. Jetzt sollen die Naturverfahren nach dem Willen der Politik auf den Prüfstand. Zu wenig Nutzen bringe die Homöopathie. Sie komme die Krankenkassen teuer zu stehen, sagte der SPD-Fachmann Karl Lauterbach dem "Spiegel". Aus der Bundes-CDU gab es bereits Signale, alles aus dem Kassenkatalog zu streichen, was nach Extrawurst riecht und medizinisch fragwürdig sein könnte.

Denn um die Homöopathie tobt ein Glaubensstreit. In vielen Studien wurde kein Nutzen gegenüber Placebos nachgewiesen. Auch der Akupunktur und alternativen Heilmethoden vertrauen viele Ärzte nicht. Baden-Württembergs Sozialministerin Monika Stolz (CDU) hat jedoch davor gewarnt, einzelne Leistungen für Kassenpatienten zu streichen. "Die Krankenkassen können wählen, ob sie ihren Mitgliedern die Homöopathie anbieten oder nicht", sagte Stolz. Die Homöopathie könne eine gute kostengünstige Ergänzung zur Schulmedizin sein. Das finden die Grünen ohnehin, wie Parteichefin Claudia Roth gestern versicherte. Hamburgs Gesundheitssenator Dietrich Wersich (CDU) sagte dem Abendblatt: "Von Leistungskürzungen halte ich nicht viel. Die Bevölkerung will nicht, dass bisherige Leistungen im Gesundheitswesen gekürzt werden oder plötzlich wegfallen."

Barbara Sickmüller vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie sagte: "Krankenkassen haben diese Wahlleistungen in ihrem Katalog, weil Zehntausende von Patienten mit der Homöopathie gute Erfahrungen gemacht haben, sie wünschen - und bereit sind, dafür zu bezahlen."

Nach Ansicht von Experten gibt es noch genügend Einsparpotenziale im Gesundheitswesen. Senator Wersich sagte: "Die Einschränkung der Verwaltungskosten der Krankenkassen oder ein Stopp der stetig steigenden Kosten für Arzneimittel sind richtige Schritte, die Kritik daran überzogen. Was wir nicht brauchen, ist ein Wettbewerb um Sparvorschläge, bei dem schließlich jeder auf den anderen zeigt."

Für Arzneimittel werden jährlich mehr als 30 Milliarden Euro ausgegeben. Das Sparpaket von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) setzt da an. Nicht mehr jedes neue Medikament wird zu einem festgesetzten Preis erstattet. Kritiker bemängeln jedoch, dass das Paket nicht weit genug gehe. Wersich sagte: "Aus meiner Sicht ist klar, dass wir schon aufgrund der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts auch künftig mehr Geld im Gesundheitswesen benötigen. Dieses sollte langfristig nicht nur aus Arbeitnehmerbeiträgen finanziert werden, hier gehen die Beschlüsse in die richtige Richtung."

Aus der Politik kommt immer wieder die Forderung, bei Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten zu sparen. Doch das droht die Versorgung zu verschlechtern, an die sich die Deutschen gewöhnt haben. Und die Mediziner in Klinik und Praxis pochen auf angemessene Bezahlung. HEK-Vorstand Jens Luther sagte dem Abendblatt: "Die Belastungen für die Versicherten bei der Gesundheitsreform sind unerfreulich, aber notwendig, weil das Defizit 2011 größtenteils von der Politik selbst verursacht worden ist." Die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) habe als Wahlgeschenk den Krankenhäusern und Ärzten Einkommenssteigerungen von mehr als sechs Milliarden Euro versprochen.

Luther sagte: "Die Reform ist kein Befreiungsschlag, dennoch ein mutiger Schritt von Minister Rösler, weil damit der Startschuss für einen echten Preiswettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt ist." Sparen ließe sich auch, wenn man den Betrug im Gesundheitswesen (falsche Abrechnungen, Kartenmissbrauch) eindämmen könnte. Transparency International hat beklagt, dass in Deutschland noch immer "Fangprämien" an Ärzte gezahlt werden, damit Patienten gezielt an Kliniken oder Fachleute überwiesen werden. Durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen gehen nach Berechnungen des European Healthcare Fraud and Corruption Network in Deutschland jährlich mehr als 13 Milliarden Euro verloren. Das sind über zwei Milliarden mehr als das erwartete Defizit der Kassen für 2011.