Kassen schreiben drastischen Brief an Minister Rösler. SPD-Expertin Reimann fordert Nullrunden für Ärzte und Krankenhäuser.

Hamburg. Etwa 8,8 Millionen Mitglieder von gesetzlichen Krankenkassen zahlen derzeit Zusatzbeiträge von acht bis 37,50 Euro im Monat. Das geht aus einer Aufstellung des Bundesversicherungsamts hervor. Und es dürften bis Ende des Jahres deutlich mehr Extrazahler werden. Während die Politik noch über die abgeschmetterte Kopfpauschalen-Prämie von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) streitet, schlagen die größten Kassen wie die Barmer GEK, AOK und DAK sowie Experten Alarm. In einem Brief an Rösler, der dem Abendblatt vorliegt, warnen sie vor einer "Ausgabenexplosion bisher nicht bekannten Ausmaßes".

Dabei geht es "nur" um die Hausarztverträge. Dadurch wird geregelt, dass es einen Tarif gibt, in dem Patienten sich verpflichten, bei Erkrankungen zunächst zum Hausarzt zu gehen. "Wir werden zu Verträgen gesetzlich gezwungen. Diese Hausarztverträge bringen keine bessere medizinische Versorgung. Sie verbessern lediglich das Honorar der Hausärzte", sagte der Hamburger Leiter des Kassenverbands VDEK, Günter Ploß, dem Abendblatt. "Die Bundesregierung könnte das durch eine leichte Gesetzesänderung korrigieren. Bayern blockiert das."

Die Kassen fürchten Zusatzausgaben von 1,5 Milliarden Euro, wenn das Gesetz über die Hausarztverträge bleibt. Dabei ist das für 2011 erwartete Minus bei den gesetzlichen Kassen offenbar noch dramatischer als gedacht. Carola Reimann (SPD), Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, sagte dem Abendblatt: "Vor allem bei Arzneimitteln muss gespart werden."

Der Präsident des Bundesversicherungsamts, Maximilian Gaßner, habe im Ausschuss gesagt, dass die Einsparungen durch das Arzneimittelsparpaket in seinen Berechnungen für das Kassendefizit von zehn Milliarden Euro in 2011 schon eingepreist seien.

"Beim Sparen im Gesundheitswesen müssen alle in die Verantwortung. Das bedeutet auch eine Nullrunde bei Ärzten und Krankenhäusern. Ich bin gespannt, ob Herr Rösler sich aufraffen kann, dort eine Nullrunde durchzusetzen. Beim derzeitigen Zustand der Regierungskoalition ist das fraglich."

Sparen, so Reimann, könne man auch durch konsequenten Kampf gegen Abrechnungsbetrug: "Die Kassen sind aufgefordert, stärker gegen Korruption und Missbrauch vorzugehen." Der jüngste Klinik-Skandal in Berlin habe gezeigt, dass mutmaßliche Betrüger die Kassen um Millionen Euro erleichtert hätten. Auch zahlten noch immer Krankenhäuser an Ärzte Extra-Honorare, damit sie Patienten zu ihnen schicken ("Fangprämie"). "Nach dem Skandal um die Fangprämien im vergangenen Jahr haben erst vier von 16 Bundesländern Clearingstellen eingerichtet", beklagte Reimann. "Ich verstehe nicht, warum die Ärzteschaft da nicht mehr Energie investiert, um die schwarzen Schafe zu identifizieren." Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency schätzt, dass durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen in Deutschland jedes Jahr 13 Milliarden Euro verloren gehen.