Die Opposition freut sich über den Streit in der Koalition. Doch Geschlossenheit fehlt auch links der Regierung

Berlin/Hamburg. Mit der Wahl des Bundespräsidenten ist eine Farbmischung der deutschen Politik in weite Ferne gerückt. Nicht nur die Kanzlerin erlebte in den drei Wahlgängen einen herben Rückschlag, sondern auch die Befürworter eines rot-rot-grünen Bündnisses. Merkel wurde die Geschlossenheit von ihren Wahlleuten verwehrt. Doch auch bei der Opposition links von der schwarz-gelben Regierung gab es sie nicht, die Geschlossenheit. Im Gegenteil: Am Tag danach streiten, sticheln und zanken sich Sozialdemokraten und Grüne mit der Linkspartei.

Hätten die Linken Gauck gestern mitgewählt und auf die eigene chancenlose Kandidatin Luc Jochimsen verzichtet, hätte Gauck gute Chancen auf das Amt des Präsidenten gehabt. Doch die Linken verwehrten dem ehemaligen Beauftragten für die Stasiakten Gauck die Stimme - auch im dritten Wahlgang, als Jochimsen ihre Kandidatur zurückzog, enthielten sich die meisten der linken Wahlleute.

"Die Linkspartei ist schuld, dass Herr Gauck nicht im ersten Wahlgang gewählt worden ist", sagte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. "In der Bundesversammlung hat ausgerechnet unter der Führung von Oskar Lafontaine noch einmal die alte SED-Nachfolgepartei entschieden", so Gabriel. Die Reformer der Linkspartei müssten jetzt endlich den Kampf aufnehmen. "Sie dürfen nicht länger zulassen, dass Lafontaine und Wagenknecht mit ihrer Mischung aus Machiavellismus und Beton-Kommunismus das Zepter schwingen." Und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck spricht von einer "politischen Ausweichposition" der Linken, die nicht die Kraft habe zu einem personellen Neuanfang. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Manuela Schwesig, bezeichnete die Linke als "massiv gespaltene" Partei, die viele "ewig Gestrige" unter sich habe.

Es ist eine Welle an Vorwürfen, die von den Sozialdemokraten auf die Linkspartei zurollt. Und auch die Spitzen der Grünen stimmten in den Kanon gegen die Linkspartei ein und griffen die Enthaltung der Partei scharf an. Parteichef Cem Özdemir sagte, die Linken hätten "offensichtlich Schiffbruch erlitten" beim Versuch, in der Bundesrepublik anzukommen. Die Linkspartei habe sich nicht "von ihrem alten SED- und Stasi-Erbe" befreien können - das ist der Tenor von Rot-Grün am Tag nach der Niederlage von Gauck.

Doch diese wies die Vorwürfe zurück - und ging ihrerseits in die Offensive. Der Parteivorsitzende der Linken, Klaus Ernst, warf der SPD vor, sie sei nicht in der Opposition angekommen. "Schwarz-Gelb schwächelt. Aber es gibt auch keinen wirklichen Oppositionsführer", sagte Ernst dem Hamburger Abendblatt. Die SPD sei zudem nicht im Fünf-Parteien-System angekommen. Anstatt an parteipolitische Spielchen müsse die SPD in der Opposition mehr an das Land denken. Ernst griff die Spitzen der Sozialdemokraten scharf an. "Steinmeier ist blass und unglaubwürdig. Sigmar Gabriel ist ein unberechenbarer Krawallmacher und wird der Rolle als Oppositionsführer nicht gerecht. Er spaltet", sagte er. "Ohne Gabriels Eskapaden wäre die Bundespräsidentenwahl vielleicht anders gelaufen." Gauck sei für die Partei nicht wählbar gewesen, wegen dessen Positionen zum Afghanistankrieg und Fragen der sozialen Gerechtigkeit, heißt es bei den Linken.

Wulffs Wahl hinterlässt Wunden - im Regierungslager, doch genauso auch in der Opposition. Wunden, die nun vor möglichen Bündnissen erst einmal verheilen müssen. Vor allem die Grünen sehen nach dem Streit um Gauck kaum noch Chancen für Rot-Rot-Grün. Es werde zwar auch weiter Gespräche mit der Linkspartei geben, doch die Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen sei vertan, erklärte Parteichefin Roth. Was rot-rot-grüne Bündnisse betreffe, habe sich die Linke davon zahlreiche Meilen weiter entfernt, sagte Fraktionschefin Renate Künast.

Die Linken wollen dagegen weiter auf Bündnisse mit SPD und Grünen setzen. Rot-Rot-Grün könne es aber nur geben, wenn es inhaltliche Voraussetzungen und den Willen gebe, "gleichberechtigt vernünftig über Inhalte zu sprechen und für gemeinsame Ziele", sagte Parteichefin Gesine Lötzsch im Deutschlandfunk. Im Streit um die Präsidentenwahl habe sich allerdings gezeigt, dass Gauck beim Afghanistaneinsatz, in der Frage von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ganz andere Positionen vertrete als die Linken.

Viele Sozialdemokraten verbuchen es als taktischen Erfolg, dass sie mit dem Kandidaten Gauck nicht nur Unfrieden in der Koalition geschürt, sondern auch die Linkspartei gezwungen haben, sich von SPD und Grünen zu distanzieren. Geschlossenheit mit der Linkspartei war bei vielen Sozialdemokraten nie gewünscht. Doch zusehends verblasst das von der Union als Schreckgespenst an die Wand gemalte Bündnis Rot-Rot-Grün. Dies wiederum passt zum Streben der SPD, sich Machtoptionen offenzuhalten. In Nordrhein-Westfalen wollen die Sozialdemokraten in Kürze die Rückkehr an die Macht feiern, wenn auch nur mit einer rot-grünen Minderheitsregierung. Auch dort will sich die SPD Mehrheiten unabhängig von den Linken suchen. Sie schielt zur FDP. Auch wenn man sich mit ihr nicht immer einig ist.