Um illegale Einwanderer zu stoppen, soll es wieder Grenz-Kontrollen geben, fordern die Innenminister Deutschlands und Frankreichs.

Hamburg. Vor 27 Jahren saß der deutsche Jurist und CDU-Politiker Waldemar Schreckenberger auf dem Fahrgastdampfer "Princesse Marie-Astrid", idyllisch war es am luxemburgischen Ufer der Mosel, in Schengen. 1985 war es, als Schreckenberger für Deutschland das Abkommen von Schengen unterzeichnete, genauso wie seine Kollegen aus Luxemburg, Belgien, Frankreich und den Niederlanden. So fing es an mit dem grenzenlosen Reisen in Europa. Heute gehören 26 Staaten zum Schengen-Gebiet. An ihren Binnengrenzen gibt es keine Kontrollen.

Doch nun wollen Deutschland und Frankreich die Reisefreiheit in Ausnahmesituationen wieder abschaffen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und sein französischer Kollege Claude Guéant machen in einem Brief an die dänische EU-Ratspräsidentschaft Druck: Sie verlangen darin das Recht, ihre Landesgrenzen eigenmächtig 30 Tage lang wieder kontrollieren zu dürfen, sollten andere Schengen-Staaten ihre Außengrenzen im Süden und Osten nicht ausreichend abschotten.

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Sorge bereitet den Politikern beider Länder vor allem die hohe Zahl der Flüchtlinge, die aus Afrika teilweise unkontrolliert nach Europa fliehen. Aus dem Innenministerium in Berlin hieß es am Freitag, der Hintergrund sei "natürlich auch" die Situation an der türkisch-griechischen Grenze. Dort würden seit Längerem die Schengen-Standards nicht eingehalten. Über diese Grenze führt einer der Hauptwege für Flüchtlinge in die EU. Rund 55 000 Menschen wurden im vergangenen Jahr beim Versuch aufgegriffen, dort illegal in die EU zu gelangen. Aus dem Ministerium hieß es, erste vorläufige Zahlen für 2012 "lassen den Schluss auf einen weiter steigenden Trend zu".

Die Landesgrenzen des Schengen-Raums mit mehr als 400 Millionen Einwohnern sind mehr als 7700 Kilometer lang, die Seegrenzen knapp 42 700 Kilometer. Die EU debattiert seit dem Sommer über neue Regeln für Kontrollen. Auslöser war die Wiedereinführung französischer Kontrollen an der Grenze zu Italien. Die EU-Kommission hatte im September vorgeschlagen, dass künftig in "unvorhergesehenen Notfällen" die Grenzkontrollen für maximal fünf Tage wieder eingeführt werden dürfen. Eine Verlängerung dieser Frist wäre nur noch durch Beschluss des Ministerrats mit qualifizierter Mehrheit möglich. Die zeitweilige Wiedereinführung von Kontrollen bei vorhersehbaren Ereignissen - etwa Sportveranstaltungen - soll nur auf Vorschlag der EU-Kommission möglich sein.

Deutschland und Frankreich wollen diese Regelung nun ausweiten. Die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, kritisierte die Pläne scharf. Der Vorschlag von Friedrich sei Wahlkampfhilfe für Merkels französischen Freund Sarkozy, sagte Roth dem Abendblatt. "Mit rechtspopulistischer Rhetorik gegen Flüchtlinge soll die aussichtslose Lage des französischen Präsidenten verbessert werden. Merkozy zeigen in der Flüchtlingspolitik ihr hässliches Gesicht." Zentrale Errungenschaften der europäischen Integration, wie die uneingeschränkte Reisefreiheit, würden dadurch aufgegeben, beklagte Roth. Sie hob hervor, dass die Bundesregierung und Frankreich mit dem "Wunsch nach einer Festung Europa" zeigen würden, dass ihnen das "Schicksal der Flüchtlinge herzlich egal ist, die ihr Leben auf dem Mittelmeer riskieren".

Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, kritisierte den Vorstoß der beiden Innenminister deutlich. Damit werde der Sinn des EU-Vertrags in seinen Grundfesten ausgehebelt, sagte Witthaut dem Abendblatt. Nach dem Inkrafttreten des Schengen-Abkommens seien einst ein großer Teil der 10 000 Grenzbeamten an anderen Stellen eingesetzt worden. "Das lässt sich nicht so einfach rückgängig machen, wenn man dafür gerade einen Anlass sieht." Witthaut bezweifelte die Wirksamkeit dieser Grenzkontrollen. "Menschenhändler, illegale Einwanderer und Schleuser warten einfach, bis die 30 Tage Kontrollen um sind."

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Außenminister Guido Westerwelle (FDP) stellte klar, dass an der Reisefreiheit nicht gerüttelt werde. "Die Reisefreiheit ist eine der wichtigsten und für die Bürger erlebbaren Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses", erklärte der Außenminister am Freitag in Karlsruhe.

Und doch wackelt das Abkommen von Schengen immer stärker. Spanien will aus Anlass eines in Barcelona anberaumten Treffens der Europäischen Zentralbank (EZB) im kommenden Monat kurzfristig wieder Grenzkontrollen einführen, teilte das Innenministerium am Freitag mit. Als Grund für diesen Schritt gilt ein erwarteter Ansturm von Demonstranten vor allem aus Italien und Griechenland, wo die Menschen Sparmaßnahmen ihrer Regierungen kritisieren. Bereits zum Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden 2009 wurde das Schengen-Abkommen an der deutsch-französischen Grenze außer Kraft gesetzt. Auch während der Fußball-EM in der Ukraine und Polen wird an der deutsch-polnischen Grenze vorübergehend wieder kontrolliert.