Bei den 14- bis 17-Jährigen ist die Sehnsucht nach Sicherheit und Familie gewachsen. In der Freizeit sehen sie weiter am liebsten fern.

Berlin. Niels Knopf hat schon sehr klare Vorstellungen von seiner Zukunft. Der 16 Jahre alte Gymnasiast aus Berlin will Rechtsanwalt werden, heiraten und einen Sohn bekommen. Es ist das Modell, das er vom Elternhaus kennt. Sein Vater arbeitet als Rechtsanwalt, Niels ist als Einzelkind aufgewachsen. Überhaupt hat der sportliche, ehrgeizige Junge nicht viel an seinen Eltern auszusetzen. Sie seien neben seinem Sporttrainer für ihn Vorbilder, sagt er: "Die haben es hingekriegt."

Glaubt man der neuen Sinus-Jugendstudie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, dann ist Niels Knopf kein typischer Vertreter seiner Generation. Denn diese, so haben die Forscher herausgefunden, geht zunehmend auf Distanz zu ihren Eltern. Der Ratschlag der Freunde wird zunehmend wichtiger als der der Familie. Online-Netzwerke dienen nicht nur dem Austausch mit den Freunden, sondern auch als "elternfreie Zone". Damit reagieren die Jugendlichen auf die Erfahrung, dass die traditionellen Lebensentwürfe der Eltern für sie selbst nur noch begrenzte Gültigkeit haben. Neben den Freunden werden die Medien als Orientierungshilfe immer bedeutsamer für sie. Gleichzeitig empfinden die Jugendlichen einen starken Leistungsdruck.

Auf diese Unsicherheiten reagieren die 14- bis 17-Jährigen aber weder mit Protest noch mit Pessimismus, sondern mit "Bewältigungsoptimismus", wie es die Forscher nennen. Rebellion ist für sie kein Thema. "Die Jugendlichen entfernen sich 'friedlich' vom Elternhaus", heißt es in der Studie, die im Auftrag mehrerer Organisationen, darunter die Bundeszentrale für politische Bildung, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, erstellt wurde. Befragt wurden bundesweit 72 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren in ausführlichen Interviews zwischen Juni 2011 und August 2011.

Die Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft ist nach Angaben der Forscher bei jungen Menschen besonders deutlich spürbar. Als frustrierend empfinden viele Heranwachsende, vor allem an ihrer Leistungsfähigkeit gemessen zu werden. Dennoch verweigern sie sich dem Leistungsdruck nicht. Statt wie andere Generationen die Verhältnisse infrage zu stellen, begreifen sie die hohen Anforderungen auch als Herausforderung. Aus diesem Grund fangen viele von ihnen bereits früh an, ihr Leben zu planen, und zwingen sich gleichzeitig dazu, flexibel zu bleiben. Die Jugendlichen von heute sind bereit, hart zu arbeiten, aber sie wollen auch hart feiern. Sie wollen sparsam sein und sich gleichzeitig etwas leisten können. Größer geworden ist das Bedürfnis nach Halt und Sicherheit. Viele der Jugendlichen wünschen sich eine eigene Familie, schätzen es jedoch als schwierig ein, in ihrem Leben den richtigen Zeitpunkt für die Familienplanung zu definieren.

Sieben jugendliche Lebenswelten identifiziert die Studie: Am traditionellsten geprägt ist das konservativ-bürgerliche Milieu. Wer ihm angehört, ist familien- und heimatorientiert, bodenständig, hat ein Bewusstsein für Traditionen und ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Jugendliche der sozialökologischen Gruppe sind gemeinwohlorientiert, sie legen auf Nachhaltigkeit Wert, haben eine sozialkritische Grundhaltung und sind offen für alternative Lebensentwürfe. Die Gruppe der materialistischen Hedonisten stammt überwiegend aus bildungsfernen Schichten, ist freizeit- und familienorientiert und hat ausgeprägte Konsumwünsche. Für experimentalistische Hedonisten steht das Leben im Hier und Jetzt im Vordergrund, sie wollen vor allem Spaß haben. Als Prekäre gelten Jugendliche mit schwierigen Startvoraussetzungen, die nach Orientierung und Teilhabe streben. Expeditive werden in der Studie jene Jugendlichen genannt, die erfolgs- und lifestyleorientiert sind und nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen suchen. Es ist die größte Gruppe. Die zweitgrößte Gruppe sind die Adaptiv-Pragmatischen: Sie sind leistungs- und familienorientiert und haben eine hohe Anpassungsbereitschaft.

In dieser Gruppe lässt sich auch der Berliner Niels Knopf verorten. Natürlich würden die Anforderungen an einen ständig wachsen, sagt der 16-jährige Schüler. "Aber ich denke immer, das wird schon." Sein Motto: Anstrengen - ja, sich Stress machen - nein: "Je mehr man sich Stress macht, umso weniger klappt es."

Eine Folge der zunehmenden Individualisierung der Lebensentwürfe ist, dass sich die Lebenswelten der Jugendlichen immer stärker unterscheiden. Das führt auch dazu, dass die Schnittmengen geringer werden. Vor allem sozial benachteiligte Jugendliche werden laut Studie von allen anderen Gruppen zunehmend ausgegrenzt. Besonders Jugendliche in der Mitte der Gesellschaft haben kein Interesse daran, sich mit den schlechtergestellten Altersgenossen zu solidarisieren. Sie werfen ihnen geringe Leistungsbereitschaft und Arbeitsverweigerung vor. Tatsächlich verbinden die meisten der als "prekär" eingestuften Jugendlichen Schule mit Misserfolg und Konflikten. Die Motivation, sich anzustrengen, ist für sie vergleichsweise gering, weil sie kein lohnendes Ziel darin erkennen. Sie fühlen sich in wachsendem Maße "abgehängt", Erfolgserlebnisse suchen sie sich außerhalb der Schule.

Bei allen Unterschieden fanden die Wissenschaftler allerdings auch viele Gemeinsamkeiten bei den Jugendlichen. So haben fast alle ein nüchtern abgeklärtes Verhältnis zum Internet, dessen Nutzung als normal empfunden, aber nicht als Ersatz für reale Kontakte gesehen wird. Die liebste Freizeitbeschäftigung ist ein Klassiker: 98 Prozent der Befragten gaben an, besonders gern fernzusehen. Erst dann folgen das Zusammensein mit Freunden (97 Prozent) und die Nutzung des Internets (95 Prozent). Computerspiele landeten auf dem elften Platz, hinter sportlichen Aktivitäten wie Schwimmen und Radfahren. Wie fest Medien inzwischen zum Alltag der Jugendlichen gehören, zeigt ein Blick auf die gesamte Liste. Von den 25 populärsten Freizeitaktivitäten haben elf etwas mit Medien zu tun.