Die Parteibasis muss im Streit um einen Spitzenkandidaten befragt werden. Claudia Roth will Jürgen Trittins One-Man-Show verhindern.

Berlin. Die Grünen bewegen sich in ihrem Führungsstreit als erste Partei in Deutschland auf die Benennung von Spitzenkandidaten per Urwahl zu. Die Grünen-Führung legte trotz wachsenden Drucks aus der Partei ihren Machtkampf nicht bei. Nun will der Vorstand binnen einer Woche ein Verfahren zur Schlichtung des Streits vorschlagen. Es wäre das erste Mal, dass Spitzenkandidaten für einen Bundestagswahlkampf in der Mitgliederbefragung einer Partei bestimmt werden.

"Der Bundesvorstand wird einen Verfahrensvorschlag vorlegen, den wir beim Parteirat am kommenden Montag diskutieren werden", sagte Parteichef Cem Özdemir. Ende April soll ein kleiner Parteitag entscheiden. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke sagte dem ARD-Hörfunk: "Ich kann mir vorstellen, dass es uns Grünen gut zu Gesicht steht, wenn wir das im Verfahren einer Urwahl machen." Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck sagte "Handelsblatt Online": "Es gibt keinen Grund, sich vor der Parteibasis zu fürchten."

In einer internen Sitzung drängten die Landesvorstände das Führungsquartett aus Özdemir, der Kovorsitzenden Claudia Roth und den Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin zu einer Einigung. Das berichteten Teilnehmer der Nachrichtenagentur dpa. Der jüngste öffentliche Urwahl-Vorstoß von Parteichefin Roth erhielt in der turnusgemäßen Sitzung der Parteivorstände von Bund und Ländern Zustimmung. Mehrere Teilnehmer lobten dies als basisdemokratisch.

Ohne überzeugende Alternative könnte die Grünen-Führung den einmal gemachten Urwahlvorschlag womöglich nicht mehr zurücknehmen. Es reicht der Antrag von drei Landesverbänden. Die Bremer Grünen sprachen sich bereits für eine Urwahl aus.

+++ Gerangel bei den Grünen um die Spitzenkandidatur +++

Andere Teilnehmer gaben zu bedenken, dass eine solche Mitgliederbefragung dem Eindruck von Geschlossenheit widerspricht und Unterlegene beschädigt zurücklässt. Zudem sei noch nicht einmal klar, ob ein, zwei oder mehr Kandidaten per Urwahl bestellt werden sollen.

Özdemir selbst machte deutlich, dass eine Spitzenkandidatur für ihn keine Priorität hat. Er wolle auf dem nächsten Bundesparteitag als Bundesvorsitzender bestätigt werden und zudem in den Bundestag einziehen. Roth hatte dagegen ihren Hut als Spitzenkandidatin in den Ring geworfen. Trittin und Künast wollen diese Spitzenrolle auch wahrnehmen. Zumindest haben sie dem nie widersprochen. Künast war in Berlin als Spitzenkandidatin bei der Abgeordnetenhauswahl im vergangenen Jahr gescheitert.

Roth hatte Trittin als alleinigen Kandidaten abgelehnt, weil dann keine Frau zum Zuge käme. Der nordrhein-westfälische Landeschef Sven Lehmann sagte: "Die Grünen sind immer sehr gut im Team gefahren, ich glaube, so werden wir den Wahlkampf auch gestalten. (...) Eine Urabstimmung ist dann ein Thema, wenn es keine Einigung gibt."

+++ Claudia Roth: "Die Kanzlerin ist hemmungslos" +++

Özdemir betonte, die Bundes- und Landesvorsitzenden seien sich über das Ziel einig: "Wir wollen die aktuelle Bundesregierung ablösen und ersetzen durch eine Koalition aus Rot und Grün." Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour sagte: "Wichtig ist, dass die Personalquerelen schnellstens zum Ende kommen, und zwar deutlich vor den Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein." An der Saar wird bereits in zwei Wochen gewählt.

Unterdessen sagte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, 63, in einem Interview, das Image der Grünen als Radfahrerpartei sei ein Klischee aus "grauer Vorzeit". Baden-Württembergs Regierungschef sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Die Grünen sind schon immer Autofahrerpartei gewesen. Ich hatte immer ein Auto." Er fahre schon lange Mercedes. "Oder Daimler, wie man bei uns sagt. Allerdings waren es nicht immer die neuesten Modelle." Der überzeugte Fahrradfahrer und Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) würde den Satz mit der "Autofahrerpartei" wohl so nicht unterschreiben. Hermann sagte: "Wir Grünen nutzen alles - vom Fahrrad über das Auto, den ÖPNV und die eigenen Füße." Kretschmann sagte, als Ministerpräsident eines Autolandes müsse er sich einfühlen können - auch wenn er zu Beginn seiner Amtszeit gesagt hatte, dass weniger Autos besser als mehr seien. "Leidenschaften gehören zum Menschen. Der eine züchtet Bienen, der andere fährt gern Porsche. Ich will da keinen Tugendterror anstellen."