Jürgen Trittin hatte in letzter Zeit auch beim Realo-Flügel gepunktet. Jetzt positioniert sich auch die Parteichefin für die Bundestagswahl 2013.

Berlin. Mit ihrer Bewerbung für die Spitzenkandidatur der Grünen bei der Bundestagswahl 2013 hat Claudia Roth die Notbremse gezogen. Nur indem die Parteichefin als Erste ihren Hut für die Kandidaten-Kür in den Ring warf, kann sie die Chance wahren, den sich abzeichnenden Durchmarsch von Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin zu stoppen.

Nach einer Klausur des Realo-Flügels vergangenes Wochenende war klar, dass der Parteilinke Trittin auch für die Reformer tragbar ist. Roth spielte auch ihre beste Trumpfkarte aus: Sie forderte eine Urwahl. Dabei hätte sie gute Chancen, bei den Mitgliedern gilt die 56-jährige Parteilinke als beliebt. Ob ihr Kalkül aufgeht, ist jedoch fraglich.

Schon seit geraumer Zeit hat Trittin auch bei den Realos gepunktet. Er hat sich zum Sprachrohr beim alles dominierenden Thema Schuldenkrise gemausert. „Den kann man in jede Talkshow schicken“, sagt ein führendes Mitglied des Realo-Flügels. Eine Kollegin aus demselben Lager erklärt, Realos und Linke seien für Trittin. „Das höre ich allerorten, und zwar schon länger.“

+++ Claudia Roth 2011: "Die Kanzlerin ist hemmungslos" +++

+++ SPD und Grüne stellen Privilegien für Wulff infrage +++

Dass viele Realos für den Mann aus dem linken Lager sind, liegt auch daran, dass sie keine wirkliche Alternative aufbieten können. Co-Fraktionschefin Renate Künast gilt seit ihrer Niederlage bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus als angeschlagen. Ihr wird verübelt, Schwarz-Grün nach der Wahl ausgeschlossen zu haben. Co-Parteichef Cem Özdemir kommt als Realo-Pendant zu Trittin nicht infrage, denn das würde den Geschlechterproporz stören.

Trittin hält sich angesichts dessen vornehm zurück. Er beteilige sich nicht an Personalspielchen, sondern mache seine Arbeit, richtete er am Freitag staatstragend aus. Für ihn wird es jetzt darauf ankommen, eine Urabstimmung über die Grünen-Spitzenkandidaten zu verhindern. Führende Grüne schätzen, dass das Führungsquartett der beiden Partei- und der beiden Fraktionsvorsitzenden nicht selbst einen Konsens in der Kandidatenfrage finden kann. „Dass muss von außen kommen“, sagt ein Spitzengrüner. Die Entscheidung muss in den Parteigremien fallen, sagt auch Özdemir.

Unklar ist, wie groß die Truppen Roths sind

Bleibt die Frage, ob Trittin auch seinen eigenen linken Flügel mitnehmen kann. Unklar ist, wie groß die Truppen Roths sind. Dass sie aber einen Putsch gegen Trittin bewerkstelligen kann, erscheint unwahrscheinlich.

Die Frage des Spitzenkandidaten wird aber nicht nur an der innerparteilichen Machtarithmetik entschieden. „Wir werden jetzt eine Aufstellung finden, die eines im Blick hat: das Wahlziel“, gab Özdemir aus. Geht es um den Kandidaten, der beim Wähler am besten ankommt, muss Trittin noch nachlegen. Beim jüngsten ZDF-Politbarometer der beliebtesten Politiker kommt Roth auf den achten Platz. Trittin taucht in der Rangfolge gar nicht erst auf.

+++ Trittin: Unterstützung für Sarkozy schadet Beziehungen +++

Das Kandidaten-Karrusell interessiert womöglich eh nur die Parteimitglieder. „Bei den Grünen spielt es für die Wähler keine Rolle, wer sie in den Wahlkampf führt“, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Es gebe die grünen Stammwähler, gut für acht bis neun Prozent, die würden immer ihr Kreuzchen bei den Grünen machen. Dazu kämen die Protestwähler. „Und denen ist es auch egal, wer die Grünen im Wahlkampf führt.“

Von Hans-Edzard Busemann, rtr, abendblatt.de