Hamburgs oberster Verfassungsschützer Manfred Murck über die Bezahlung und Qualifikation der V-Männer und die Terrorzelle von Zwickau.

Hamburg. Manfred Murck sitzt zwischen Antje und Andreas. Vor ihnen auf dem Tisch hat Antje Artikel aus der "taz" ausgebreitet, im Publikum verteilt eine Frau Heftchen von "Avanti", dem "Projekt undogmatische Linke", das den Sicherheitsbehörden Kumpanei mit den Nazi-Mördern vorwirft. Der Moderator sieht ein wenig aus wie der junge Gregor Gysi, er duzt alle. Außer Murck. Der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes hat an diesem Dezemberabend im Vereinshaus des SC Sternschanze kein Heimspiel.

Eingeladen hat ihn die Heinrich-Böll-Stiftung, und auf dem Podium sitzen außer Murck der Journalist Andreas Speit und die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Antje Möller. Es geht um den "Terror von rechts", über den Deutschland seit Wochen heftig debattiert. Und es geht um die Frage, welche Verstrickung V-Leute des Verfassungsschutzes hatten zum "Nationalsozialistischen Untergrund" in Thüringen. Es sind Wochen, in denen sich nicht nur bei den Opfern Wut und Irritation über die deutschen Sicherheitsbehörden aufstauen, nachdem Neonazis offenbar mehrere Jahre unentdeckt morden konnten. Also macht Murck bei der Vorstellungsrunde des Moderators erst mal einen lockeren Spruch. "Wir vom Verfassungsschutz arbeiten ja oft unsichtbar oder verdeckt. Aber ich bin es wirklich, der hier sitzt, keine Sorge." Einige im Publikum schmunzeln. Manfred Murck nimmt Feuer aus der Sache.

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Ein paar Stunden vor der Veranstaltung sitzt Murck in seinem Büro im Kontorhausviertel in der Altstadt und sagt noch, er hoffe, dass die Lage heute Abend nicht aus dem Ruder laufe. Hinter seinem Schreibtisch hängt ein Bild, das sein Sohn gemalt hat, als er zu Hause ausgezogen ist. Es ist knallgelb mit roten und orangen Fußabdrücken, von seinem Sohn, seiner Frau und dem 62 Jahre alten Murck selbst. Seit Mai 2011 leitet Murck den Hamburger Verfassungsschutz. Er führt 150 Mitarbeiter.

Als Murck sein Büro noch ein paar Stockwerke tiefer hatte und Stellvertreter war, erlebte die Welt 2001 die Terroranschläge in New York. Die Hamburger Sicherheitsbehörden hätten damals bohrende Fragen aushalten müssen, sagt Murck. Stellvertretend für die Bundesbehörden. Warum wusste der Verfassungsschutz nichts von der Hamburger Al-Qaida-Zelle um Mohammed Atta? Hatten die Ermittler keine Ahnung von den Verbindungen nach Afghanistan? Berechtigte Fragen, sagt Murck. Diesmal müssen sie seine Kollegen in Thüringen aushalten. Und die Vorwürfe gehen weiter: Fast täglich dringen neue Verstrickungen zwischen Verfassungsschutz und der Zwickauer Neonazi-Zelle in die Öffentlichkeit. Ein geheimer Untersuchungsbericht zeigt, dass Ermittler den Terroristen noch vor den Morden auf den Fersen waren. Aber die Fahnder griffen nicht zu. Es sind Zeugnisse eines Staatsversagens.

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Murck will aber nicht von einer Staatsaffäre sprechen. Man müsse abwarten, erst aufklären. Überhaupt ist es nicht leicht, mit einem Geheimdienstchef über die Arbeit des Geheimdienstes zu sprechen. Das merken auch die Zuhörer im Vereinshaus des SC Sternschanze. Die Öffentlichkeit wisse nicht, welche Informationen der Verfassungsschutz hat, an wen er sie weitergibt, wie die Ermittler an ihre Informationen kommen und wer die Arbeit des Verfassungsschutzes kontrolliert, sagt der Autor Andreas Speit. "Es liegt nun mal in der Natur eines Geheimdienstes, dass bestimmte Maßnahmen und Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorenthalten werden", sagt Murck. Dann spricht er vom Austausch von Hinweisen mit der Polizei, den Berichten seiner Behörde über die Hamburger Neonazi-Gruppe Weiße Wölfe Terrorcrew und über die Auswahl der V-Leute. Murck macht wenig Pausen zwischen den Sätzen. Und wenn er sagt, er wolle noch kurz etwas ergänzen, spricht er weitere drei Minuten. Er zieht die Brauen hoch, kneift seine Augen zusammen, wenn er einem Satz besondere Bedeutung geben will. So einem zum Beispiel: "Dem Hamburger Verfassungsschutz vorzuwerfen, er sei auf dem rechten Auge blind, ist schlicht falsch und unfair."

Murck weiß: Es geht in diesen Tagen um den Ruf seiner Behörde. Es geht aber auch um seinen eigenen Ruf. In seinem Büro zieht Murck ein Buch aus dem Regal. "Immer dazwischen", heißt es. Murck ist einer der Herausgeber, Anfang der 1990er-Jahre ist es erschienen. Das Buch handelt von fremdenfeindlicher Gewalt und der Rolle der Polizei. Er habe sich immer gegen Rechtsextremismus eingesetzt. Murck führt das Buch an wie ein Alibi gegen die Vorwürfe. "Ich bin mit mir im Reinen", sagt er.

Wer mit Murck über Ermittlungen gegen Extremisten spricht, hört viel von "asymmetrischen Strukturen", von der Polizei und dem "kooperativen Führungssystem" und von "interventionistischer Vernetzung". Wer Murcks Sprache verstehen will, muss seine Vergangenheit kennen. 1967 begann er zu studieren, zu Hochzeit der Studentenbewegung schrieb er sich an der Universität in Frankfurt ein, der geistigen Hochburg des Protests. "Ich habe Adorno noch live erlebt", sagt Murck. Im berühmten Hörsaal 6 dozierte der Philosoph über die Dialektik der Aufklärung. Viele Studenten himmelten Adorno an, argumentierten mit seinen Schriften für die Revolution. "Das hatte fast etwas Religiöses", sagt Murck. Ihm aber war die Revolution fremd.

Er sei Analytiker, interessiert an der Forschung im Feld. Er hat mit "magna cum laude" promoviert und ein Buch geschrieben über die "Soziologie der öffentlichen Sicherheit". Aus seiner Frankfurter Zeit hat Murck einen Lieblingsphilosophen: Karl Popper, der den "kritischen Rationalismus" begründete. Vor seiner Arbeit als Verfassungsschützer leitete Murck die Gesellschaftswissenschaften an der Führungsakademie der Polizei in Münster-Hiltrup. Seit 1997 ist er beim Verfassungsschutz. Murck mag das Professorale. Auch jetzt noch als Amtsleiter.

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Heute scheint gesichert, dass die Zwickauer Terrorzelle 2001 auch in Hamburg einen türkischen Gemüsehändler erschossen hat. Die Vorstellung einer abgetauchten rechtsterroristischen Gruppe sei damals nicht wirklich im Programm gewesen, sagt Murck. "Das war der generelle Fehler."

Hamburger Ermittler haben in den vergangenen Wochen eine Reihe von Belegen in den Akten gefunden, dass es Kontakte zwischen Hamburger Neonazis und dem Thüringer Heimatschutz gab, der rechtsextremen Gruppe, in der auch die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt agierten. "Wichtig ist aber, dass es bisher keine Hinweise gibt, dass es in Hamburg Mitwisser oder Unterstützer der Zwickauer Zelle gegeben hat", sagt Murck. Heute sei eine "überschaubare Zahl" von V-Leuten in der Hamburger rechten Szene für den Verfassungsschutz im Einsatz. Genaue Angaben will Murck nicht machen. Im Normalfall erhalten die V-Leute von der Behörde einen dreistelligen Euro-Betrag im Monat für ihre Arbeit - je nach Risiko und Aufwand. "Manche V-Leute treffen wir einmal im Quartal, andere fast wöchentlich", sagt Murck. Auch bei der Anwerbung mache man Vorgaben: keine Drogenabhängigen oder Schwerkriminellen zum Beispiel, in der rechten Szene sollten keine veganen Anti-Alkoholiker als Quelle arbeiten, sagt Murck. Es seien Arbeitslose wie Akademiker unter den Informanten.

Wenn Murck über die V-Leute spricht, verteilt er Informationsschnipsel, mit denen er den Verfassungsschutz herausholen will aus dem Bild der verschwörerischen Ecke eines Agenten-Thrillers. Er bettet seine Behörde ein in ein demokratisches Ganzes. "Wir sind keine hinterfotzige Erfindung", sagt Murck auf dem Podium in der Sternschanze. Er verstehe aber auch die Wut. "Sicherheit ist ein emotionales Geschäft." Es geht immer auch um Trauer und Rachegelüste. Die Verfassungsschützer aber müssen sich an Akten, am Rechtsrahmen, an Einsatzlagen orientieren. An der Vernunft, sagt Murck.