Verfassungsschützer arbeiten offenbar Hand in Hand mit den Nazi-Terroristen.

Manche Begriffe werden im medialen Trommelfeuer so häufig gesendet und gedruckt, dass sich ein Schleier der Abstumpfung über die eigentliche Bedeutung legt. Neonazi ist solch ein Begriff. Er bedeutet nicht in erster Linie, einen kahl geschorenen Kopf zu haben und Thor-Steinar-Jacken zu tragen. Er bedeutet auch nicht, Ausländer aus dem Land jagen zu wollen und Rassist zu sein. Ein Neonazi hängt nicht einer theoretischen Ideologie an - sondern der ganz realen Vernichtungspolitik Adolf Hitlers. Er hält es für richtig, dass mehr als sechs Millionen Juden, Sinti, Roma, Behinderte und viele andere ermordet wurden. Er hält den Zweiten Weltkrieg mit seinen 55 Millionen Toten für richtig, meint aber, dass die Falschen gewonnen hätten. Und er hält die mindestens zehn Morde an in Deutschland lebenden Ausländern für richtig, die auf das Konto des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrunds, gehen.

Verfassungsschützer ist kein Begriff, über den sich ein Schleier der Ungenauigkeit legen könnte. Eindeutigere Berufsbezeichnungen gibt es nicht. Bei Neonazis wegzuschauen wäre da bereits ein Skandal. Wie soll man also das nennen, was jetzt über den Thüringer Verfassungsschutz herauskommt? Das Amt hat die Bildung des terroristischen NSU nicht nur nicht verhindert, sondern geradezu gefördert. Die Beschützer der Demokratie kannten den Aufenthaltsort der gesuchten Verbrecher, nahmen sie aber nicht fest. Sie behinderten offenbar die Fahndungsarbeit der Polizei. Und sie versuchten den Nazi-Terroristen Geld zukommen zu lassen, in der Hoffnung, die würden so an gefälschte Pässe herankommen.

Das alles sind keine Pannen, keine Fehler in der Ermittlungsarbeit. Dahinter steckt offensichtlich ein System. Das sind beklemmende Enthüllungen: Verfassungsschützer und Verfassungsfeinde arbeiten Hand in Hand. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist die Arbeit von staatlichen Stellen so pervertiert worden.

Insofern ist es erstaunlich, wie gelassen weite Teile der Öffentlichkeit all dies hinnehmen. Ein Häuslebauer-Kredit des Bundespräsidenten oder ein vom FDP-Generalsekretär zerstörter Außenspiegel scheinen größere Aufreger zu sein.

Wäre das bei umgekehrten Vorzeichen genauso? Wie hätte dieses Land reagiert, wenn Ulrike Meinhof und Andreas Baader Steuergelder vom Bundeskriminalamt bekommen hätten? Wenn der Verfassungsschutz den Aufenthaltsort von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt gekannt, aber nichts unternommen hätte? Es wäre zum wohl größten Skandal der Republikgeschichte gekommen, und es hätte Rücktritte gehagelt.

Aktuell geht es nicht darum, politische Köpfe rollen zu lassen, zumal die jetzt bekannt gewordenen Vorfälle zehn Jahre zurückliegen und die Hauptverantwortlichen nicht mehr im Amt sind. Es geht um tiefer greifende Konsequenzen und an erster Stelle um das System der V-Leute, das - zurückhaltend formuliert - gescheitert ist. Das Prinzip, Menschen aus der rechten Szene, also überzeugte Nazis, zu rekrutieren, ist absurd. Man muss ja den Eindruck gewinnen, dass die rechten Terroristen Verbindungsleute beim Verfassungsschutz haben - und nicht umgekehrt.

Das gilt im Übrigen auch für die NPD. Eine rechtsextreme Partei, deren Vorstände zum Teil zu 50 Prozent aus V-Leuten bestehen, ist nicht staatlich überwacht, sondern staatlich gelenkt. Da geht es nicht mehr in erster Linie darum, Erkenntnisse über die NPD zu gewinnen. Die Überwachung wurde vielmehr zum Selbstzweck; anders ausgedrückt: Das Monstrum, das man töten will, wird zeitgleich gefüttert. Auf Steuerkosten.

Deutschland neigt manchmal dazu, allzu hysterisch auf vermeintliche Politskandale und -skandälchen zu reagieren. Jetzt wäre es zweifelsfrei angebracht. Also: Erregt euch!