Nach immer neuen Fällen sexuellen Missbrauchs sprachen die deutschen Bischöfe in ihren Predigten von Reue, aber auch vom Blick nach vorne.

Hamburg/Rom. Im Kampf um ihre Glaubwürdigkeit ringt die katholische Kirche zu Ostern um den Neubeginn. Nach dem Bekanntwerden immer neuer Fälle sexuellen Missbrauchs sprachen die deutschen Bischöfe in ihren Predigten von Reue, aber vom Blick nach vorne. Für Aufsehen sorgte neben einem missglückten Antisemitismus-Vergleich im Vatikan die Kritik des Oberhaupts der Anglikanischen Kirche. Rowan Williams, der Erzbischof von Canterbury, bescheinigte den Katholiken in Irland, im dortigen Missbrauch-Skandal alle Glaubwürdigkeit verloren zu haben. Der katholische Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, reagierte schockiert und betroffen auf Williams Aussagen.

Die deutsche Grünen-Politikerin Christa Nickels – ein Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken – sprach im Deutschlandfunk vom „größten Vertrauensverlust der katholischen Kirche seit der Hitler-Zeit“. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke nannte den Skandal einen „bösen Schatten“ über der Kirche. „Aber die Konsequenz darf nicht sein, dass wir sagen: Wir sind die Schuldigen und so ist es. Nein, wir müssen sehen, welches gute Potenzial wir haben, welche Kräfte wir haben und wie ein Neubeginn möglich ist“, meinte Jaschke im Radiosender NDR Info.

Mehr Druck auf die Kirche forderte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast. Der geplante Runde Tisch der Bundesregierung sei keine Lösung. Nötig seien ein Opferfonds und eine unabhängige Untersuchungskommission, sagte sie der „Welt am Sonntag“.

In ihren Predigten zur Osternacht verlangten der Münchner Erzbischof Reinhard Marx und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick von den Einzelnen mehr Verantwortung. Den Missbrauchsskandal ordneten sie laut vorab verbreiteten Mitteilungen als Folge von Werteverlust und Verantwortungslosigkeit ein. Marx nannte sie im Liebfrauendom als Wurzel der Krise in Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche.

Der Bamberger Erzbischof Schick sieht die Krise nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft: „Die gegenwärtige Krise der Kirche ist eine Krise unserer Gesellschaft, die in vielen Bereichen ihre Wertmaßstäbe, Ethik und Moral verloren hat.“

Der Vatikan distanzierte sich am Sonnabend nach öffentlichen Protesten von einem Antisemitismus-Vergleich, den der persönliche Prediger des Papstes nach Angriffen auf die Kirche wegen des Missbrauchskandals gezogen hatte. Papst-Prediger Raniero Cantalamessa hatte am Karfreitag im Beisein von Benedikt XVI. aus dem Brief eines jüdischen Freundes zitiert: „Die Stereotypen und das Verschieben persönlicher Verantwortung und Schuld hin zu einer kollektiven Schuld erinnert mich an beschämendste Aspekte des Antisemitismus.“

„Ich dementiere auf Schärfste, dass dies ein vom Vatikan angeregter Vergleich zwischen dem Antisemitismus und der derzeitigen Situation in Sachen Pädophilie sei“, sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi nach italienischen Medienberichten vom Samstag. Was der Priester zitiert hatte, habe allein ein Zeugnis der Solidarität durch einen Juden sein sollen, erklärte Lombardi der „New York Times“.

Es habe absolut kein Angriff auf die jüdische Welt sein sollen und sei auch „kein passender Vergleich“, sagte Lombardi. Die „New York Times“ ließ auch Roms Chefrabbiner Riccardo di Segni zu Wort kommen, der diesen Vergleich „ungläubig“ aufgenommen habe. Cantalamessa hatte in einer Karfreitagszeremonie gesagt, die Juden seien in ihrer Geschichte Opfer „kollektiver Gewalt“ gewesen; er zitierte dann den nicht namentlich genannten jüdischen Freund.

Allein das Erzbistum Freiburg zählte nach eigenen Angaben bisher Beschuldigungen gegen 31 Menschen wegen sexueller Übergriffe. In 16 Fällen hätten die mutmaßlichen Opfer verschiedene Priester der Diözese belastet. „Alle uns in den vergangenen Wochen neu gemeldeten Vorfälle beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 1950 und 1980“, teilte das Erzbistum am Samstag mit.

Auch bei der evangelischen Kirche im Rheinland haben sich in den vergangenen Jahren 40 Menschen als Opfer sexuellen Missbrauchs gemeldet. Das sagte der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, der „Passauer Neuen Presse“. Seit 2003 habe die rheinische Landeskirche ein abgestimmtes Verfahren bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sagte Schneider. „Seither haben sich 40 Opfer an uns gewandt“, erklärte Schneider, der auch Präses der Landeskirche ist.

„Darüber hinaus haben sich in den vergangenen Tagen weitere Menschen bei uns gemeldet, die Missbrauchserfahrungen schildern“, fügte Schneider hinzu. „Diese Fälle beziehen sich ausnahmslos auf Vorgänge, die viele Jahre und Jahrzehnte zurückliegen“, sagte Schneider, der die EKD seit dem Rücktritt von Margot Käßmann führt.