Dafür spart er nicht mit Ratschlägen an politische Gegner und eigene Genossen. Seine Empfehlung: zur Sacharbeit zurückkehren.

Saarbrücken. Was sagt Oskar? Mehr als zwei Monate hatte seine Partei sich diese Frage gestellt und auf eine Ankündigung, ein Wörtchen, ein kleines Zeichen gewartet. Selbst engste Mitarbeiter und Vertraute waren bis zum gestrigen Abend nicht vollends über seine Pläne eingeweiht. Oskar Lafontaines erstem öffentlichen Auftritt seit seiner Krebserkrankung waren die wildesten Spekulationen vorausgegangen. Im Bereich des Möglichen: vom vollständigen Rücktritt von allen Ämtern über einen Rückzug allein vom Bundesvorsitz bis hin zum frühzeitigen Bekenntnis, erneut im Mai für die Parteispitze zu kandidieren.

Manchen Quellen wollten schon früh gewusst haben, dass Lafontaine beim Neujahrsempfang der Bundestagsfraktion in Saarbrücken gar nichts sagen würde - zumindest nicht zu seiner Zukunft. Sie behielten recht, wenn auch nur teilweise. Lafontaine kündigte in der Tat rein gar nichts an, was ihn selbst betrifft, aber er gab die Marschroute der Linkspartei für dieses Jahr vor.

Der Kampf gegen Hartz IV, für den Mindestlohn, gegen die Banken, gegen den Krieg in Afghanistan - Lafontaine jagte in einer knappen Stunde mit Zorn und Eifer durch sein Programm. Und er machte deutlich, dass er nicht um jeden Preis ein Oppositionspolitiker bleiben wolle. Er sei für Regierungsbeteiligungen der Linken, "wenn wir in unserem Sinne Politik machen können".

Allein daraus konnten seine Anhänger schließen, dass ihr Oskar weiter seiner eigenen Marschroute folgen wird, und zwar ganz vorn.

Allein das Wort der Parteikrise nahm er nicht in den Mund. Als er auf die "Personalquerelen" zu sprechen kam, betonte er nur, dass "niemand unersetzlich" sei bei der Linken. "Alles Notwendige" sei von Gregor Gysi und Klaus Ernst gesagt worden. Wo Menschen zusammenarbeiten, gebe es "Eitelkeiten, Rivalitäten und persönliche Befindlichkeiten". Nur einen einzigen Satz, so schien es, wollte er seinem Intimfeind, dem Noch-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch widmen: "Da nicht alle Akteure einander in tiefer Sympathie und Zuneigung verbunden sind, muss man sich wie im Alltag an Regeln halten, die ein solidarisches Miteinander ermöglichen." Mehr sei dazu nicht zu sagen.

Das war vielleicht das von der Partei erhoffte kleine Zeichen des Parteichefs. Sein Ruf, zur Sacharbeit zurückzukehren, konnte niemand überhören. Und weil die kleinen Zeichen Lafontaines große Symbolkraft haben, galt schon vor dem Auftritt des Parteichefs nicht allein die Frage "Was sagt Oskar?" als wegweisend, sondern ebenso sehr die Frage "Wo sagt es Oskar?". Nicht die Hauptstadt, nicht der Bundestag sollte es sein. Erst recht nicht die Parteizentrale. Das Berliner Karl-Liebknecht-Haus, in dem Bartsch noch die Geschäfte führt. Für sein Rede-Comeback nach zwei Monaten des Schweigens wählte Lafontaine eine kleine Mehrzweckhalle im Saarbrücker Stadtteil Burbach. Der Linken-Chef wollte dieses Heimspiel, geografisch und politisch. Nur eine halbe Autostunde von seinem Wohnhaus entfernt trat Lafontaine dort auf, wo er noch unangefochten ist, fast ein Heiliger, und wo er bei der Landtagswahl am 30. August aus dem Stand 21,3 Prozent holte. Nirgendwo sonst hat Lafontaine diese Anziehungskraft. In Saarbrücken kann sich der Ex-SPD-Chef, Ex-Finanzminister, Ex-Ministerpräsident und Ex-Oberbürgermeister noch darauf verlassen, verehrt zu werden. Hier ist und bleibt der Napoleon von der Saar. Hier konnte er auch gestern wieder auf die begeisterten "Oskar"-Rufe zählen.

In den ostdeutschen Landesverbänden kann er sich nach der öffentlichen Demontage des Bundesgeschäftsführers des vorbehaltlosen Rückhalts längst nicht mehr sicher sein. Zwar hatte Fraktionschef Gysi seinen "Freund" Bartsch höchstpersönlich bei der Fraktionsklausur abgesägt. Doch kaum jemand in der Partei zweifelt daran, dass Lafontaine im fernen Saarland den in aller Deutlichkeit formulierten Vorwurf der "Illoyalität gegenüber dem Parteivorsitzenden" im Vorwege eingefordert hatte. Aber auch nach der Klausur schwieg Lafontaine weiter, während die Partei von Tag zu Tag tiefer in ihre personelle und programmatische Krise taumelte.

Einen Tag vor Lafontaines Auftritt hatte sich die Parteizentrale noch in einem Befreiungsschlag versucht. Im letzten Absatz einer ellenlangen Erklärung des Geschäftsführenden Vorstands hieß es, ohne inhaltliche Auseinandersetzungen werde die Programmdebatte nicht gehen. Eine solche Auseinandersetzung "kann unsere Partei aber attraktiv machen". Streit ist sexy, so kann man die neue Sprachregelung deuten. Nicht anwesend bei der Sitzung war Lafontaine. Man habe ihn in der Parteizentrale schon seit dem Sommer 2009 nicht mehr gesehen, heißt es. Das Zentrum der Linkspartei ist offensichtlich viel mehr Saarbrücken als Berlin. Vielleicht wollte Lafontaine gestern genau das noch einmal klarstellen.