Auch die Hamburger Sozialgerichte verzeichnen 2009 einen Anstieg. Immer mehr Selbstständige beantragen Hilfe.

Hamburg. Vier Wochen für ein Eilverfahren, zehn Monate im Normalfall: So kurz oder lange dauert es, bis am größten deutschen Sozialgericht in Berlin eine Hartz-IV-Klage entschieden ist. Damit ist die Berliner Justitia laut Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma die schnellste Gerichtsbarkeit in Deutschland. Nirgendwo sonst bekommen Kläger gegen einen Hartz-IV-Bescheid so zeitnah ein Urteil. Und nirgendwo sonst gibt es so viele Hartz-IV-Empfänger und so viele Beschwerden.

Die Bilanz nach fünf Jahren Hartz IV ist für die Gerichte erschreckend. Allein in Berlin gingen 86 000 Klagen ein, sagte Gerichtspräsidentin Schudoma. Mit 26 700 neuen Fällen 2009 sei der Anstieg noch nie so groß gewesen. "Die Klagewelle wächst von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag", sagte Schudoma. "Hartz IV - das ist die größte Herausforderung in der Geschichte des Berliner Sozialgerichts." Die Zahl der Richterstellen wurde verdoppelt. "Der Ausnahmezustand ist zur Regel geworden", so die Präsidentin.

Die Berliner Richter ächzen wie ihre Kollegen überall im Land unter dem Albdruck lückenhafter Gesetzgebung, Tausender Einzelfälle und immer neuer Details, die die Hartz-Gesetze auch nach fünf Jahren zu einem undurchschaubaren Dickicht machen. Und fast jede zweite Klage lohnt sich für den Hilfeempfänger.

Auch wenn das Bundessozialgericht die Zahlen für 2009 erst im Februar vorlegt, zeichnet sich ein Trend ab: Die meisten Klagen sind schon erfolgreich, wenn die Hartz-IV-Empfänger bis dato fehlende Unterlagen vorlegen. Die guten Aussichten animieren auch immer mehr der etwa 3,6 Millionen Hartz-Haushalte zum Klagen. Meist geht es um Mietkosten oder um das Anrechnen von Einkommen.

In Hamburg ist die Zahl der neuen Fälle nach einer Statistik, die dem Abendblatt vorliegt, von 2008 auf 2009 um gut 400 auf 3846 gestiegen. Die neuen Klagen beim Landessozialgericht sind darin noch nicht eingerechnet. So schnell wie Berlin sei Hamburg allemal, sagte Präsidialrichter Thomas Flint dem Abendblatt. Eine durchschnittliche Dauer von Verfahren sei aber unsinnig, weil sich manche Klagen binnen eines Tages erledigten. Wichtiger sei, dass man die eiligen Fälle sofort löse. Dass beispielsweise jemand eine rasche Entscheidung bekomme, wenn er in eine neue Wohnung umziehen soll und der Vermieter die Wohnung nur einige Tage freihält.

Die meisten Hamburger Kläger bezweifeln, dass die Erstattung von Wohnkosten (Miete, Möbel, Elektrogeräte) hoch genug ist. Stark gewachsen ist die Zahl der Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide von Menschen, die bislang selbstständig gearbeitet haben. Flint sagte: "Da kommen Leute ins Jobcenter, die selbstständig als Designer oder im Medienbereich gearbeitet haben und denen die Einnahmen wegbrechen. Die beantragen Hartz IV und müssen Bilanzen vorlegen. Manchmal wird der Steuerberater als Zeuge gehört. Solche Verfahren kosten Zeit. In den Jobcentern gibt es eine Tendenz, bei schwierigen Fällen abzublocken."

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte der "Rheinischen Post", Hartz-IV-Empfänger könnten vorerst nicht mit höheren Leistungen rechnen. Die Bundesregierung wartet mit Spannung auf das für Februar angekündigte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Die Karlsruher Richter müssen klären, ob die Kindersätze bei Hartz IV angemessen sind.

Die Grenzen für Mini-Jobs will von der Leyen lockern. "Wir wollen mehr Anreize setzen, damit Arbeitnehmer nicht bei einer 15-Stunden-Woche bleiben, nur um die 400-Euro-Grenze nicht zu überschreiten, ab der die Sozialversicherungspflicht für sie einsetzt", sagte sie. Die meisten der "Aufstocker" wären Hartz IV entflohen, wenn sie ihren Job in Vollzeit machen könnten.