Niedersachsens Finanzgericht kritisiert die Dauersteuer für die deutsche Einheit. Werden nun alle Steuerzahler entlastet?

Hannover. Die Bundesregierung nimmt's gelassen, die Steuerzahler jubeln: Wieder hat das niedersächsische Finanzgericht ein Urteil gefällt, das die Republik erschüttern könnte. Nach dem Urteil zur Pendlerpauschale im März 2007, die die niedersächsischen Richter für verfassungswidrig hielten, wird nun der „Soli" in Frage gestellt, der Solidaritätszuschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer. Bei der Pendlerpauschale folgten die Karlsruher Verfassungshüter später den niedersächsischen Juristenkollegen. Im politischen Berlin braucht man derzeit alles – nur keine Diskussion um Soli und die Langzeitkosten der deutschen Einheit. Das Jahr 2010 ist das Jubiläumsjahr.

Das Bundesverfassungsgericht muss aber jetzt den Solidaritätszuschlag auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen. Das niedersächsische Finanzgericht nannte das Gesetz verfassungswidrig und beschloss, es den Karlsruher Richtern vorzulegen. Die Entscheidung über die Klage eines Steuerzahlers gegen den Soli setzten die Finanzrichter bis zum Abschluss der Prüfung aus.

Nach den Vorstellungen des Verfassungsgesetzgebers dürfe eine Ergänzungsabgabe wie der Solidaritätszuschlag „nur so lange erhoben werden wie ein vorübergehender Bedarf besteht“, hieß es beim niedersächsischen Finanzgericht. Bei den Kosten der deutschen Einheit handele es sich jedoch nicht nur um einen vorübergehenden Finanzbedarf des Bundes, sagte die Senatsvorsitzende Georgia Gascard. Tragendes Motiv für die Einführung des Solis sei ein langfristiger Finanzbedarf des Bundes gewesen.

Der Bund der Steuerzahler (BdSt) rechnet sich gute Chancen auf ein Ende des „Solis“ aus. „Der Solidaritätszuschlag ist dazu da, sogenannte Bedarfsspitzen abzudecken“, sagte Bundesgeschäftsführer Reiner Holznagel der Deutschen Presse-Agentur dpa. Dies sei der Fall, wenn der Bund aufgrund außergewöhnlicher Ausgaben Extra-Einnahmen benötige. „Ein solcher Zuschlag darf nur temporär begrenzt erhoben werden.“ Der „Soli“ sei aber zu einer Dauersteuer mutiert. „Er ist deshalb verfassungswidrig.“

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sagte dem Hamburger Abendblatt: „Das ist zunächst einmal die überraschende Meinung eines einzelnen Landesgerichts. Wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet, bleibt abzuwarten. Für uns ist entscheidend, dass der Aufbau Ost fortgeführt wird und der Solidarpakt II weiter gilt.“

Der Steuerzahlerbund meint: Auch wenn das Bundesverfassungsgericht den „Soli“ kippen sollte, könnten die Steuerzahler aber kaum mit massiven Steuer-Rückzahlungen rechnen. „Ich denke nicht, dass das Bundesverfassungsgericht zu einem Urteil kommen wird, in dem rückwirkend die Zahlungen infrage gestellt werden. Das wäre utopisch und das streben wir auch gar nicht an“, sagte Holznagel.

Das Gericht argumentierte: Bei der verfassungsrechtliche Prüfung des Gesetzes über den Solidaritätszuschlag müsse man nicht die Artikel 105 und 106 des Grundgesetzes, sondern auch die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren für die Artikel heranziehen, betonte die Richterin. Die Vorstellung des Gesetzgebers, dass eine Ergänzungsabgabe wie der Solidaritätszuschlag nur „zur vorübergehenden Deckung von Bedarfsspitzen“ dienen dürfe, ergebe sich aus den Materialien. In den Artikeln 105 und 106 des Grundgesetzes selbst findet sich dieser Hinweis nicht.

Das Bundesfinanzministerium geht nicht davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag auf die Einkommensteuer für verfassungswidrig erklärt. „Damit rechnen wir nicht“, sagte ein Sprecher.

Vor dem Finanzgericht hatte ein 37-jähriger Angestellter aus dem Landkreis Osnabrück gegen den Bescheid seines Finanzamtes über den Solidaritätszuschlag für das Jahr 2007 geklagt. Der Soli sei längst zum Dauerinstrument zur Beschaffung von Finanzmitteln geworden und sei daher verfassungswidrig, argumentierte auch er in seiner vom Bund der Steuerzahler unterstützten Klage.

Die Leiterin des beklagten Finanzamtes Quakenbrück, Karin Mährlein, hielt dem entgegen, der Bund habe für die deutsche Einheit bislang mehr als eine Billion Euro aufgewendet. Jährlich kämen weiterhin rund 100 Milliarden Euro an Vereinigungslasten hinzu. Im Grundgesetzt gebe es für Ergänzungsabgaben des Bundes keine zeitliche Begrenzung nach oben.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) hat gelassen auf das „Soli“-Urteil reagiert. Das Gericht habe überhaupt nicht die Aufgabe, über die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags für die ostdeutschen Länder zu entscheiden, sagte Böhmer nach Angaben einer Sprecherin. Daher sei die vom Gericht vorgenommene Einstufung der Abgabe als verfassungswidrig keine Vorentscheidung. „Der Soli wurde zur Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit eingeführt und bisher dafür auch gebraucht“, sagte Böhmer.

Die steuerpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Barbara Höll, sagte: „Solange die Bundesregierung sich nicht dazu durchringen kann, endlich die hohen Vermögen und Einkommen stärker zu besteuern, kann auf den Soli nicht verzichtet werden.“ Das Urteil offenbare, dass Deutschland zwanzig Jahre nach dem Mauerfall noch weit von der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse entfernt sei. „Und andererseits, dass die öffentliche Hand dringend mehr Finanzmittel braucht – nicht nur im Osten, sondern auch im Westen.“ Höll sagte: „Sollte das Bundesverfassungsgericht diesem Urteil folgen, sind sämtliche Steuersenkungspläne der Regierung obsolet.“ (ryb/dpa/AP)