Glaubensfragen: In Berlin starteten Bundesregierung und Moslem-Vertreter einen konstruktiven Dialog - doch blieb die Absetzung der Mozart-Oper “Idomeneo“ eines der beherrschenden Themen. Der Beauftragte für den Dialog mit den Muslimen, Weihbischof Jaschke, sagt: Sensibilität in der Kunst muss sein, aber keine Zensur.

ABENDBLATT: Religiöse Sensibilität versus Freiheit der Kunst: Wie viel wert sind uns unsere Werte?

WEIHBISCHOF JASCHKE: Als Mann der christlichen Kirche trete ich selbstverständlich ein für die Freiheit der Kunst - andererseits aber auch immer für die Werte der Kirche und dafür, dass Kunst religiöse Gefühle nicht verletzt. Das ist manchmal eine Gratwanderung.

ABENDBLATT: Ist es nicht gerade Aufgabe der Kunst, auch in so einem wichtigen Bereich wie der Religion Grenzen zu überschreiten und in Frage zu stellen?

JASCHKE: Sicherlich muss Kunst immer wieder auch Grenzen überschreiten, um uns aufmerksam zu machen und kritisch zu hinterfragen. Die Frage in dieser Situation ist allerdings, ob die Stimmung nicht viel zu aufgeheizt ist für eine ordentliche öffentliche Wahrnehmung. Wenn Stimmungen und Beleidigungsgefühle erst einmal da sind, dann hat ein vernünftiger und kritischer Diskurs oft keinerlei Chance mehr.

ABENDBLATT: Diese Stimmung ist jedoch sehr einseitig. Ein abgeschlagener Kopf Jesu würde kaum Reaktionen wie die Mohammed-Karikaturen provozieren. Sind unsere christlichen Wert-Reflexe zu abgebrüht?

JASCHKE: In Einzelfällen protestieren Christen auch gegen die Verletzung religiöser Gefühle. Hier muss man aber auch den Kontext betrachten. Wenn eine Operninszenierung wie hier etwa einen grausamen Gott - von welcher religiösen Perspektive auch immer - kritisch hinterfragt, so muss dies sicherlich erlaubt sein. Aber diese Kontexte werden in unserer Medienlandschaft, wie der Papst dies mit seinen Äußerungen ja auch erlebt hat, selten gesehen. Sichtbar bleibt immer nur isoliert das abgeschlagene Haupt einer religiösen Figur.

ABENDBLATT: War es also richtig, die Oper abzusetzen?

JASCHKE: Es widerspricht ganz meinen Empfindungen, dass man in Deutschland eine Mozart-Oper absetzt. Aber vielleicht ist es in dieser aufgeheizten Situation nicht unklug gewesen. Und ich will als Mann der Kirche auch noch einmal unterstreichen, dass man mit religiösen Gefühlen nicht spielen sollte.

ABENDBLATT: Drehen wir die Debatte einmal um: Sollte uns die Debatte um den Islamismus daran erinnern, auch über unser Verhältnis zu den eigenen christlichen Werte nachzudenken?

JASCHKE: Der Papst hat gesagt: Europa muss darauf achten, dass es Gott nicht verliert, auch um Partner im interreligiösen Dialog zu bleiben. Auf der anderen Seite zeichnet sich die christliche Religion ganz bewusst dadurch aus, dass sie die Welt freigibt. Das gilt auch für Kritik. Das Christentum kann und will nicht alles beherrschen. Es gibt auch eine Eigenständigkeit der Kultur. Ich möchte als Christ keine Zensur über das Theater und die Kunst ausüben, auch wenn ich mir Sensibilität gegenüber der Religion wünsche. Wichtig ist hier: Wir müssen uns das Eigene als Christentum bewahren. Und dazu gehört die Offenheit gegenüber der Kritik und die Freiheit der Kultur wie auch der Verzicht auf Gewalt in diesem kritischen Diskurs.

ABENDBLATT: Liegt hier der entscheidende Unterschied zum Islam?

JASCHKE: Die Christen haben das gelernt. Das hat lange Jahrhunderte gedauert. Es gab immer auch Versuchungen im Christentum, alles zu beherrschen. Ich denke schon, dass sich der Islam auch auf so einen Weg begeben muss. Und es gibt dafür auch Ansätze. Natürlich sollen die Muslime Gott dabei nicht verlieren. Das wollen wir nicht: Wir wollen keinen Gottesstaat, aber wir wollen auch keine gottlose Gesellschaft.

ABENDBLATT: Sind wir in Deutschland da auf dem richtigen Weg?

JASCHKE: Der Islam ist ein Faktum in der deutschen Gesellschaft. Er hat das Recht auf Religionsfreiheit. Ich bin dafür, dass wir islamischen Religionsunterricht auf Deutsch bekommen. Auf der anderen Seite sollten wir nicht vergessen, dass wir in der Mehrheit in Deutschland von der christlichen Kirche geprägt sind. Das dürfen wir nicht aufgeben: Wir sind keine Multikulti-Gesellschaft.

ABENDBLATT: Wo liegt die Grenze für eine Rolle des Islam in unserer Gesellschaft?

JASCHKE: Das ist schwer zu definieren. Muslimische Feiertage als öffentliche Feiertage in Deutschland kann ich mir schwer vorstellen. Dennoch lässt sich im Verhältnis zwischen Muslimen und der deutschen Gesellschaft perspektivisch eine Intensivierung sicher denken.