Urteil: Gericht untersagt den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zur inneren Sicherheit. Der Abschuß von entführten Flugzeugen widerspricht der geschützten Würde des Menschen. Politiker fühlen sich “allein gelassen“.

Karlsruhe/Hamburg. Der Abschuß gekaperter Passagierflugzeuge zur Abwehr eines Terroranschlags ist nach dem Grundgesetz unwiderruflich verboten. Das Bundesverfassungsgericht erklärte gestern das Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig (Az: 1 BvR 357/05 vom 15. 2. 2006). Die Bundeswehr sei zu einem bewaffneten Einsatz im Inneren gar nicht befugt, aber der Abschuß eines Passagierflugzeugs sei auch weder mit dem Grundrecht auf Leben noch mit der Garantie der Menschenwürde vereinbar. "Der Schutz der Menschenwürde ist strikt und einer Einschränkung nicht zugänglich", sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Allerdings sei der Abschuß einer nur mit Terroristen besetzten Maschine grundsätzlich regelbar, wenn das Grundgesetz so geändert würde, daß ein Bundeswehreinsatz möglich wäre.

Damit gaben die Karlsruher Richter den Verfassungsbeschwerden der früheren FDP-Spitzenpolitiker Burkhard Hirsch und Gerhart Baum und weiterer vier Kläger gegen das Gesetz der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung statt. Hirsch und Baum begrüßten die "historische Entscheidung".

Dagegen sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck, das Gericht habe die Politik beim Umgang mit einer terroristischen Bedrohung auf dem Luft- und Seeweg "allein gelassen". Für eine eventuelle Neuregelung habe das Urteil der Politik eine Verantwortung auferlegt, der sie kaum gerecht werden könne. Die Politik müsse klären, ob die Bundeswehr bei der Abwehr von Terror-Bedrohungen auf dem Luft- und Seeweg überhaupt eingesetzt werden könne.

Das Bundesinnenministerium will nun "zügig, aber ohne übertriebene Hast" eine verfassungsmäßige Neuregelung zum Schutz vor Terrorangriffen prüfen, sagte Staatssekretär Peter Altmeier. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) warnte vor vorschnellen Entscheidungen über einen Einsatz der Bundeswehr im Innern. Nun werde geprüft, "wie wir auch auf Grundlage dieses Urteils und des Grundgesetzes unser Land und die Menschen in unserem Land vor möglichen terroristischen Angriffen aus der Luft schützen können".

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) forderte ebenso wie sein hessischer Amtskollege Roland Koch (CDU) eine schnelle und klare Regelung im Grundgesetz. Jetzt müsse sich die SPD bewegen. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), Vorsitzender der Innenministerkonferenz, sagte: "Wir brauchen eine klare Rechtsgrundlage, daß die Bundeswehr zur Unterstützung bei besonderen Lagen eingesetzt werden kann." Die Bundeswehr darf bisher zur Unterstützung der Polizei bei einem "besonders schweren Unglücksfall" herangezogen werden.

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, hingegen fordert, daß nach dem "klaren Urteil" diese Debatte nun beendet sein soll. Er fürchtet allerdings, daß das Urteil umgangen werden soll, indem Soldaten zur Bundespolizei abgeordnet werden. "Das werden wir bis zum Bundesverfassungsgericht versuchen zu untersagen", sagte er dem Abendblatt.