Sie waren als junge Theologie-Professoren Kollegen in Tübingen und haben sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet. Sie sind beide katholische Priester...

Hamburg. Sie waren als junge Theologie-Professoren Kollegen in Tübingen und haben sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet. Sie sind beide katholische Priester und waren zusammen Teilnehmer des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von 1962 bis 1965 in Rom stattfand. Vor vier Jahren haben sie sich noch einmal stundenlang ausgetauscht. Heute ist Hans Küng (80) einer der schärfsten Kritiker von Joseph Ratzinger (81). Den Schweizer Theologen und Papst Benedikt XVI. trennen scheinbar Welten. Nach der Rehabilitierung von vier traditionalistischen Bischöfen und der Ernennung des extrem konservativen österreichischen Priesters Gerhard Maria Wagner durch Benedikt XVI. sieht Küng im Gespräch mit dem Abendblatt "den Papst zunehmend als Belastung für die katholische Kirche".

Hans Küng, der von Papst Johannes XXIII. zum Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils berufen wurde, erinnert sich noch an den Ratzinger der 60er-Jahre: "Er war damals auch für die Erneuerung." Es ging um modernere Formen der Liturgie, um den verstärkten Dialog mit Anders- und Nichtgläubigen, es ging um Religionsfreiheit und um die vorsichtige Relativierung der Sichtweise, dass die katholische die einzig wahre Kirche sei. "Wir haben uns gut verstanden", sagt Küng, "sonst hätte ich auch 1966 als Professor nicht dafür gesorgt, dass Ratzinger von der Universität in Münster nach Tübingen wechselt. Wir haben dort drei Jahre lang gut zusammengearbeitet." Und dann? "Die 68er-Ereignisse mit den Studenten-Unruhen haben ihn aus Tübingen vertrieben", sagt Küng. "Seitdem ist er immer konservativer geworden - und hat sich natürlich auch an die geistliche und neuerdings auch an die päpstliche Macht gewöhnt." Was das bedeutet? Küng: "Benedikt XVI. lebt in einer künstlichen Welt, er wird ständig bejubelt, er kennt nur die Touristenmassen, die kommen, um ihn einfach nur mal zu sehen. Aber er sieht nicht mehr, wie es in unseren Gemeinden aussieht."

Küng, der die Unfehlbarkeit des Papstes infrage stellte und dem daraufhin 1980 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde, ist als Priester besorgt über den Zustand, "wenn man, gerade auch in Norddeutschland, sieht, wie viele Gemeinden ohne Pfarrer sind, wie Kirchen verkauft werden, wie Gemeinden sich gegen die gewaltsame Zusammenlegung von Pfarreien sträuben". Dagegen müsse man doch etwas machen, da müsse man Antworten haben, "aber das Schlimme ist, dass der Papst da überhaupt kein Bedürfnis sieht".

Dabei wäre es sehr einfach zu handeln, weil die katholische Kirche "immer noch eine absolutistische Monarchie" darstelle. Und deshalb könnte der Papst, wenn er wollte, "über Nacht das Zölibatsgesetz abschaffen, dann hätten wir genug Priester". Er könnte "die Frauenordination einführen, dann gäbe es auch Priesterinnen". Könnte sich "für die Empfängnisverhütung und für Kondome aussprechen, dann wären viele Sorgen in den Entwicklungsländern gemildert". Er könnte "für die Abendmahlsgemeinschaft mit den evangelischen Christen eintreten - das alles wäre ja möglich. Aber er tut es nicht."

Was dahintersteckt? "Ein restaurativer Kurs des Papstes, den er schon seit Längerem verfolgt. Dazu gehört eine skeptische Einstellung gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Er hat die großen Errungenschaften bezüglich Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit oder Ökumene der christlichen Kirchen mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen hat er ausgesprochene Feinde dieses Konzils wie diese vier illegal geweihten Bischöfe der Pius-Bruderschaft hoffähig gemacht."

Ist der Papst, wie viele meinen, dabei nur schlecht beraten und hat sich blind auf Kurienkardinal Dario Castrillon Hoyos, der die Wiedereingliederung der Pius-Bruderschaft mit etwa 500 Pfarrern und 60 000 Anhängern in die katholische Kirche vorantreibt, verlassen? Küng bezweifelt das: "Benedikt hat doch selbst konservative und zumeist unfähige und weltfremde alte Kardinäle um sich versammelt. Er hat keine kritischen Menschen um sich. Ich glaube, er sieht aus dem Fenster des Vatikans gar nicht, wie die Welt wirklich aussieht. Er lebt seit Jahrzehnten in einem klerikalen Milieu. Er ist gut abgeschirmt gegen jede Kritik - auch jetzt."

Im September 2005 wurde Küng zur Privataudienz eingeladen: "Wir hatten ein sehr freundschaftliches Gespräch über vier Stunden. Ich hatte erwartet, dass er in Zukunft eine weltoffene Politik bestreitet, aber das war leider nicht der Fall."

Jetzt sieht Küng die katholische Kirche "in einer tiefen Krise". Er hofft, "dass der Papst noch ein Einsehen hat und endlich Taten der Erneuerung durchführt". Küng: "Wir brauchen einen Papst wie Barack Obama. Der die Krise erkennt und gleichzeitig eine Hoffnungsvision entwirft und reformerische Taten einleitet."