Die NRW-Wahl vor zwei Wochen hat er haushoch verloren. Als Bundesumweltminister wurde er entlassen. Unser Autor traf Norbert Röttgen.

Berlin. Wie ein Verlierer sieht er nicht aus. Er meidet die öffentliche Rede, Norbert Röttgen äußert sich nicht zu seinem Unglück. Will er als stilles Opfer mit seinem Schweigen der Entlassungstat der Bundeskanzlerin schaurige Monumentalität geben? Macht er tapfer gute Alltagsmiene zu einem bösen Spiel, das ihn jäh aus der Bahn geworfen hat? Oder hat der Rauswurf, der seinen Terminkalender drastisch ausgedünnt hat, gar einen Hauch von Befreiung für ihn?

Mit einer großen Umhängetasche, die nach Sport nur aussieht, kommt er schwungvoll zur Frühstücksverabredung in das Café, in dem sich das politische Berlin gerne sehen lässt. Das Jungenhafte, das ihm auch anhaftet, ist nicht erloschen. Er versteckt sich nicht, und niemand sieht ihn auf diesem Catwalk der Eitelkeiten wie einen Paria an. Heute, wo so viel mehr als früher transparent und öffentlich ist, vergisst man schnell; die Gesellschaft der scharfen Verurteilung ist zugleich eine milde Gesellschaft, Norbert Röttgen weiß das. Er gibt sich auf ernste Weise fröhlich. Binnen einer Woche vom Hoffnungsträger, dem Kanzlerambitionen nachgesagt wurden, zum einfachen Abgeordneten: Das ist einmalig. Sogleich wurde die Hämeorgel angeworfen, Bilder wie das vom Fahrstuhl, der vom obersten Stockwerk so wuchtig herabsaust, dass er noch den Kellerboden durchschlägt, machten die Runde. Norbert Röttgen will es anders sehen. Es war schmerzhaft, sehr schmerzhaft, aber ins Bodenlose sei er nicht gefallen: "Ich bin nicht zertrümmert." Am schlimmsten sei es, "dass die Arbeit plötzlich weg ist, dass mir meine Arbeit genommen wurde".

Doch er findet auch Tröstliches. Dass Staatsnotar Joachim Gauck beim Akt der Entlassung einen Moment aus seiner Rolle schlüpfte und ihm und seiner Frau mehr als formelle Worte der Anerkennung und des pastoralen "Kopf hoch" schenkte - das freut ihn noch immer. Und er schwärmt von dem emotionalen Abschied, den man ihm im Umweltministerium bereitet hat, von dem Applaus, mit dem er ausgerechnet jetzt auf einer CDU-Parteiversammlung begrüßt wurde. Während andere in ihm den Versager sehen, der das Feld der nordrhein-westfälischen CDU in eine Ödnis verwandelt habe, fühlt er sich in seiner Partei gut aufgehoben. Was ist da Wahrheit, was Täuschung?

Über die vertrackten Einzelheiten des Rauswurfs will er nicht reden - weil das nicht gut ist. Wohl auch, weil sie alle längst bekannt sind. Wie aber erklärt sich ein so schlauer Kopf wie er die desaströse Wahlniederlage in seinem Nordrhein-Westfalen? Was hat er falsch gemacht? Darüber spricht er eigentümlich distanziert. Dass er sich NRW nicht mit Haut und Haar verschrieben hat, dass er nicht erklärt hat, er werde nach Düsseldorf gehen, ganz gleich, wie die Wahl ausgeht, das konnte er bei einem Gespräch, das wir Ende März, kurz vor Ostern, hatten, schlüssig begründen. Er wollte mit Ministerbonus Wahlkampf führen, er wollte als einer aus dem deutschen Hauptquartier auftreten - und der Solitär, der er auch ist, wollte sich einfach weder durch öffentlichen noch durch parteilichen Druck zu etwas zwingen lassen, schon gar nicht zu etwas, das ihm nicht einleuchtete. Er hält die Entscheidung immer noch für richtig, fügt aber hinzu, er habe nicht gesehen, "dass in dieser Entscheidung Material enthalten war, um mir einen Strick zu drehen"; er habe die "Hysterisierbarkeit" des Themas unterschätzt.

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Im Nachhinein bekommt es etwas Zwingendes: Mit seinem auf Einsicht und Vernunft setzenden Schulden-Wahlkampf konnte Röttgen nur untergehen angesichts einer Ministerpräsidentin, die mit "Hömma"-Rhetorik durchs Land pflügte, gute Stimmung verbreitete und alles Politische strikt mied. Hannelore Krafts Wohlfühlexpress kam einfach viel besser an als Röttgens Seminarwahlkampf. Hat er, was mancher sagt, sein Bundesland einfach nicht verstanden?

Da bleibt er störrisch, nein, der Ansatz war richtig. Kein anderes Land werde auf so groteske Weise an den Geboten der Wirklichkeit vorbeiregiert wie NRW - noch immer glaubt er, es sei der richtige Ansatz gewesen, die Schulden in den Mittelpunkt zu stellen. Ganz schlüssig: a) die Schwachstelle der SPD, b) das Zukunftsthema. Alles habe doch gepasst: Europa, Deutschland, Nordrhein-Westfalen, die Kommunen - immer das eine Thema, und dazu hatte er die Bundeskanzlerin, die strenge Hausfrau der EU, im Rücken, "eine Sprache, eine Melodie". Warum hat es dann nicht verfangen? "Ich hatte nicht die Chance, die Relevanz des Themas zu vermitteln."

Und: "Aber es ist doch so - das müssen die anderen doch auch so sehen können." Norbert Röttgen ist wirklich nicht der Mann der Marktplätze, der Bratwurststände, des Kölsch. Wohl nicht aus Überheblichkeit, zumindest nicht nur, sondern vor allem, weil es nicht seine Welt ist. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, der Vater Postbeamter - es ist nicht Dünkel. Er war von früher Jugend an einer, der sich nicht gemein machen wollte und konnte. Er ging seiner Wege. Ein Parteifreund von damals soll über ihn gesagt haben: "Norbert hat die Rolle des Außenseiters nie gestört. Man denkt oft, er will sie eigentlich haben." Da ist der Grat schmal zwischen Bestimmtheit und Verstiegenheit, zwischen Entschlossenheit und Arroganz. Doch viele Gefährten von einst bescheinigen ihm Klarheit und Geradlinigkeit. Einige derer, die seiner Strebsamkeit zum Opfer fielen, loben noch immer sein lauteres Wesen.

Norbert Röttgen gehörte von Jugend an zu denen, die der CDU den Muff austreiben wollten. Er traf sich mit seinen Mitstreitern Pofalla, Altmaier, von Klaeden, Gröhe, Laschet - inzwischen lauter auseinandergelaufene Freunde - früh mit den Grünen, was in der Partei damals einem politischen Bordellbesuch gleichkam. Er forderte zu Zeiten, als Wolfgang Schäuble noch von der Schicksals-, ja fast Blutsgemeinschaft Nation dräute, die Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts. Und er hat die Erfahrung gemacht, dass man auf diesem Wege vorankommen und Mehrheiten verändern kann. Nicht in Wahlkämpfen, sondern in Gremien ist er groß geworden. Er gehört nicht der Spezies von Politikern an, die den Körpergeruch der Massen brauchen, um auf Touren zu kommen.

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Als deutlich wurde, dass Griechenland zum Sargnagel der EU werden könnte, riet er der Bundeskanzlerin, der deutschen Bevölkerung in einer großen Rede die Dramatik der Situation zu erklären. Dass er das tat, sieht er heute als Fehler an. Nicht weil die Idee falsch wäre, sondern weil sie nicht zu Angela Merkel passt. Die geschliffene Rede ist einfach nicht ihr Metier. Seines wohl. Und dass er das kann, hat er am 7. Oktober 2008 im Bundestag bewiesen.

Damals, noch Große Koalition, wetterleuchtete die Finanzkrise. Und während die Bundeskanzlerin und ihr sozialdemokratischer Finanzminister Peer Steinbrück, sonst ja ein Mann wuchtiger Reden, noch mit schmallippigen Erklärungen auf die andonnernde Lawine reagierten, ging er das Thema offensiv, fundamental, um Einsicht werbend und in einer eigentümlichen Mischung aus Pathos und Understatement an - und wurde der bejubelte Held der Stunde. Vielleicht ist es diese Erfahrung, die ihn an dem schönen Glauben festhalten lässt, Politik könne - gerade in Krisen - eine durchschaubare Sache der Argumente, der großen Linien und des Willens sein, dem Volk den denkbar reinsten Wein einzuschenken. Das ist eine schöne Vision, der man Wirklichkeitskraft wünscht. Und es ist eine wacklige Vision, die in dieser EU und in diesem Regierungsviertel mit dieser Bundeskanzlerin und dieser Opposition nur schwer heimisch werden kann.

Man hat ihn als autistisch, als beratungsresistent beschrieben. So viel ist wahr: Er hat seine eigene Welt, und manchmal wirkt er, als schwebe er leicht über den Dingen. Er, der mit 15 Jahren in die CDU eingetreten ist, schnell danach Parteifunktionen übernahm und so stetig wie zügig vorankam, behauptet ernsthaft, es habe bei ihm nie so etwas wie Karriereplanung gegeben. Dann aber wirkt es überzeugend, wenn er sagt, Politik betreibe er vor allem, "weil ich etwas machen, etwas gestalten will". So banal das klingt, es schwingt in diesem Satz eine rheinisch-sichere Freude an der Diesseitigkeit mit. Man sieht in Röttgen seit Langem einen, der die CDU von ihrem Urquell wegziehen, der sie modern, liberal, ununterscheidbar machen will. Fast büromäßig steril, bereinigt von allem Dumpfen, fast allem Herkömmlichen, gänzlich von allem Honoratiorenhaften. Doch so einfach verhält es sich nicht.

Es ist nur ein Zufall, aber ein sprechender, dass Röttgen nur ein paar Kilometer entfernt von dem Ort wohnt, an dem Konrad Adenauer gewohnt hat und begraben ist. Der Katholik ist auf karolingischem Boden groß geworden. Dort ist man, eine stolze Tradition im Rücken, selbstbewusst. Hier hat das Herz der frühen Bundesrepublik geschlagen, hier wurde etwas begründet, was festeren Bestand haben sollte als alles andere, was Deutsche in den 100 Jahren davor politisch begründet haben. Das gibt Kraft und Durchhaltewillen. Das rheinische Modell sei nach der Wiedervereinigung untergegangen, Deutschland sei östlicher, protestantischer geworden. Wer weiß? Vielleicht ist das rheinische Modell wandlungsfähiger, als mancher glaubt.