Nach dem Willen der CDU darf Norbert Röttgen die Blamage in NRW allein ausbaden. Die Kanzlerin soll für die Niederlage nicht mithaften.

Berlin. Es wird schlagartig still im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses, der CDU-Zentrale in der Hauptstadt, als Norbert Röttgens Gesicht in Nahaufnahme auf dem Großbildschirm erscheint. Die Anhänger, die trotz der programmierten Niederlage hierhergekommen sind, wollen hören, wie der Wahlverlierer das alles nun erklären will. Sie zeigen keine Regung, als Röttgen von seiner "ganz persönlichen Niederlage" spricht. Aber als er seinen Rücktritt vom CDU-Landesvorsitz bekannt gibt, lachen einige im Saal. Es ist ein Lachen, in dem sich Frust und Erleichterung, Schadenfreude und Hohn ihre Wege bahnen.

In der CDU hatte man sich lange, eigentlich schon seit Bekanntwerden der Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen, auf diese Niederlage eingestellt. Von Anfang an hatten die Christdemokraten gespürt, dass in dem größten Bundesland der Republik kaum eine Wechselstimmung herbeigeführt werden könnte. In diesen Pessimismus spielte mit hinein, dass die Christdemokraten ihre Unzufriedenheit mit Norbert Röttgens Auftreten im Wahlkampf kaum zu verbergen versuchten.

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Aber der NRW-Spitzenkandidat scherte sich nicht um den stetig steigenden Druck aus Berlin, auch im Falle einer Wahlniederlage in Düsseldorf zu bleiben. Selbst die Schwesterpartei sah sich bemüßigt, dem Wahlkämpfer im größten und wichtigsten CDU-Landesverband Nachhilfe zu geben. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer rief den Bundesumweltminister offen dazu auf, auch als Oppositionsführer nach Nordrhein-Westfalen zu wechseln: "Wenn ich mich einer Aufgabe verschreibe, dann ohne Rückfahrkarte." Aber Röttgen weigerte sich bis zum Wahlsonntag beharrlich, über einen Umzug an den Rhein zu entscheiden. Dass man mit so wenig Herzblut für sein Bundesland kaum die Wähler begeistern kann, schienen außer Röttgen alle Christdemokraten verstanden zu haben.

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier traut sich am Sonntagabend kurz nach 18 Uhr als erster führender CDU-Vertreter, die Wahrheit auszusprechen. Ohne äußerliche Regung steht er vor den Kameras, das Kreuz durchgedrückt, die nicht unerhebliche Leibesfülle noch stärker betonend. Er sagt, das Ergebnis übertreffe die schlimmsten Befürchtungen bei Weitem. Eigentlich sind solche Auftritte an Wahlabenden dazu da, manch unschönes Ergebnis rhetorisch zu glätten. Altmaier tritt solch einen Versuch gar nicht erst an, genauso wenig wie CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Immerhin legt er an diesem Abend noch Wert darauf, dass Röttgen als Bundesumweltminister seine "wichtige Arbeit" fortsetzen werde. Röttgens schnellen Rücktritt vom Parteiamt rechnet man ihm hoch an in der CDU-Zentrale. Als Gegenleistung will man ihn nun wenigstens als Minister stützen. Die Frage, ob einer wie Röttgen auch Kanzler könne, stellt sich in der Partei allerdings nicht mehr. Nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im März 2011 hatte Röttgen als der talentierteste und programmatisch klügste Kronprinz der Bundeskanzlerin gegolten. Mit diesem verkorksten Wahlkampf aber scheint sich Angela Merkel bei einer möglichen Nochfolgesuche neu orientieren zu müssen. Wer was werden will, muss auch etwas riskieren - dass Röttgen diesem Credo der Politik nicht folgen wollte, wird ihm die Union noch lange übel nehmen.

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Auch der Kanzlerin wird nachgesagt, sie vergesse nicht so schnell. Röttgen hatte sie kalt erwischt, als er die Landtagswahl zur Abstimmung über Merkels Europakurs machen wollte. In einer "neu zugespitzten Lage" nach dem Wahlsieg der Sozialisten in Frankreich und unklaren Verhältnissen in Griechenland sei Merkels Konsolidierungs- und Sparkurs in Gefahr, hatte er erklärt. Später musste er auf Merkels Druck seine Ansage kleinlaut zurücknehmen und versuchte sich danach in der Formel, die Abwahl von Rot-Grün in NRW könne eine Stärkung des soliden Finanzkurses der Kanzlerin sein. In Berlin schüttelte man da nur noch den Kopf über Röttgen, wohl wissend, dass besagte "zugespitzte Lage" erst noch kommen werde: für Röttgen selbst, und zwar am Wahlsonntag. In der CDU-Zentrale besteht am Sonntagabend kein Zweifel daran: Mit dieser Niederlage will und darf Merkel nichts zu tun haben und erst recht nicht in Mithaftung genommen werden. Eine Landtagswahl als Plebiszit über Europa? Nicht mit der Kanzlerin.

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Es läuft schon ohne dieses Ergebnis nicht rund für die CDU-Chefin. In Schleswig-Holstein hat ihre Partei aller Voraussicht nach einen weiteren Ministerpräsidenten-Posten verloren, und in Bayern sollte sie sich momentan besser nicht blicken lassen. CSU-Chef Seehofer lässt verbreiten, es herrsche Funkstille zwischen der Kanzlerin und ihm. Am Wochenende kündigte er an, er wolle so lange die Koalitionsrunden boykottieren, bis CDU und FDP das umstrittene Betreuungsgeld sowie die Finanztransaktionssteuer realisieren. "Ich werde an weiteren Koalitionsausschüssen nicht mehr teilnehmen, solange die alten Beschlüsse nicht endlich umgesetzt sind", sagte Seehofer der "Bild am Sonntag". Er verlangte einen Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld noch in dieser Woche. "Ich habe das Gefühl, dass manche nicht merken, dass wir schon jetzt eine sehr ernsthafte Belastung der Koalition haben", sagte er der "Welt am Sonntag".

Die CDU-Vorsitzende Merkel will die parteiinternen Gegner des Betreuungsgeldes nun besänftigen, indem sie den Ausbau der Kindertagesbetreuung beschleunigt. Dafür wolle Merkel laut "Spiegel" auch zusätzliches Geld zur Verfügung stellen. Ziel sei es, das Betreuungsgeld noch vor der Sommerpause durch den Bundestag zu bringen. Geplant ist, dass der Gesetzentwurf am6. Juni ins Kabinett kommt.

Seehofer, der Zornige, muss sich also noch gedulden. Was jedoch seinen frühen Wahlkampf-Ratschlag für Röttgen betrifft, kann sich der bayerische Ministerpräsident nach dem Desaster in NRW entspannt zurücklehnen. Er hatte mal wieder recht.