Die Euro-Krise und neue Umfragen setzen Union und FDP zu. Am Freitag erwartet die Kanzlerin eine schwierige Abstimmung im Parlament.

Berlin. Und wieder gilt Murphys Gesetz in Berlin: Es kann immer noch schlimmer kommen als gedacht. Die Erfahrung muss in dieser Woche auch Angela Merkel wieder machen. Am Freitag steht der Kanzlerin eine Zitterpartie im Parlament bevor. Denn es ist fraglich, ob Merkel die schwarz-gelbe Mehrheit für die Verabschiedung des deutschen Euro-Rettungspakets noch hinter sich hat. Mittwochnachmittag hieß es aus Fraktionskreisen, es gäbe "etwa zwanzig" unsichere Kantonisten, die den "ganzen Wahnsinn" nicht mehr mitmachen wollten. Diese Abgeordneten sind offenbar nicht überzeugt davon, dass Deutschland einen 123-Milliarden-Euro teuren Rettungsschirm aufspannen sollte, um die überschuldeten Euro-Staaten vor Spekulanten zu schützen. Ob in CDU/CSU oder in der FDP: Man stört sich vor allem an der Geschwindigkeit, mit der das Gesetz vorbereitet wurde und nun verabschiedet werden soll.

Eine allgemeine Verunsicherung lässt sich auch aus den jüngsten Umfragen herauslesen, die für Schwarz-Gelb immer katastrophaler ausfallen. Gestern wurde bekannt, dass die Regierungskoalition zusammen inzwischen nur noch 38 Prozent erzielt - das ist der schlechteste Wert seit zehn Jahren. Gefragt, was sie der Kanzlerin raten würden, empfahlen 43 Prozent der Befragten eine Neuauflage der Großen Koalition mit den Sozialdemokraten. Nur 16 Prozent waren der Ansicht, sie solle mit der FDP weitermachen.

Das ist offenkundig das Ergebnis der miserablen Vorstellung der schwarz-gelben Koalition angesichts einer wirtschaftlichen Bedrohungslage, wie sie die Bundesrepublik zuvor noch nie erlebt hat. Die Wähler, die noch das alte Krisenbewältigungsteam Merkel/Steinmeier vor Augen haben, wünschen sich angesichts der aktuellen Währungskrise, die Merkel gestern im Bundestag als "existenziell" und "größte Bewährungsprobe Europas seit Jahrzehnten" bezeichnete, ein ähnlich stabiles Tandem an der Spitze des Staates.

Stattdessen erweist sich der kleine Koalitionspartner weiterhin als empfindlich und irgendwie unberechenbar. Beispiel: Nachdem die CDU/CSU der FDP am Dienstagmorgen im Koalitionsausschuss das Ja zur Finanztransaktionssteuer abgerungen hatte, legte Frank Schäffer, Obmann der Liberalen im Finanzausschuss, seinen Posten mit sofortiger Wirkung nieder. Spannungen gibt es auch zwischen den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU) und Birgit Homburger (FDP), die eigentlich für den reibungslosen Koalitionsbetrieb zuständig sein sollten. Kauder scheint genervt, dass mit der Liberalen keine Absprachen auf dem kurzen Dienstweg möglich sind; darüber, dass sich Homburger seit der für die Liberalen so enttäuschend verlorenen NRW-Wahl offenbar gern bei Parteichef Guido Westerwelle rückversichert. Vorbei die Zeiten, in denen sich Kauder mit dem damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck von gleich zu gleich besprach. Merkel hat es mit Westerwelle allerdings auch nicht leicht. Der FDP-Vorsitzende, der nach der NRW-Wahl erleben musste, dass die Kanzlerin die Steuersenkungen absagte, sorgt sich um seine Machtposition. Am Kabinettstisch und möglicherweise auch in der eigenen Partei, die die Abkehr von zentralen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag noch nicht verdaut hat.

Während die Kanzlerin also noch genug damit zu tun hat, die angeschlagene FDP zu domptieren, macht sich Unruhe in ihrer eigenen Fraktion breit. Die einen können nicht nachvollziehen, wieso Merkel innerhalb weniger Stunden von einem Nein zu einem Ja der Finanztransaktionssteuer umschwenkte. Den anderen wird "schwindelig" angesichts der milliardenschweren Bürgschaften für den Euro-Rettungsschirm, über die nicht ausreichend informiert, geschweige denn diskutiert worden sei.

Merkel ist nicht zu beneiden. Sie wird zerrissen zwischen den Erwartungen der Märkte, der EU-Partner, des Koalitionspartners FDP, der eigenen Regierungsfraktionen und der Opposition, die allesamt widersprüchliche Forderungen aufstellen. Einer wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch nutzt die Gelegenheit, um sich mit innenpolitischen Forderungen in Szene zu setzen. Erst regte er zu Merkels Unmut an, künftig bei Bildung und Kinderbetreuung den Rotstift anzusetzen. Und gestern erfolgte unter hessischer Führung ein Vorstoß der Bundesländer zur raschen Steuervereinfachung, der womöglich heute schon auf der Finanzministerkonferenz in Dresden beschlossen werden könnte. Ärger droht Merkel auch aus Baden-Württemberg, wo sich mit Stefan Mappus ein erklärter Konservativer um den Ausgang der ihm im März bevorstehenden Landtagswahl sorgt. Mappus hat Merkels Umweltminister Norbert Röttgen im Streit um die AKW-Laufzeiten gerade zum Rücktritt aufgefordert - ein unglaublicher Vorgang unter Parteifreunden.

Auf dem Wirtschaftsflügel der CDU rumort es ohnehin seit Monaten. Eine gute Regierungsarbeit zeichne sich durch klare Ziele, einen starken Umsetzungswillen und überzeugte Mitstreiter aus, heißt es da. Zurzeit könne man "Mängel auf allen drei Ebenen" feststellen, erklärte der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, gestern. "Zwar wünschen sich manche in der CDU die Rückkehr in die Große Koalition", räumte Schlarmann dem Hamburger Abendblatt gegenüber ein. Aber er könne vor der "innerparteilichen Zerreißprobe, die dadurch heraufbeschworen würde, nur warnen". Schlarmanns Appell an die eigenen Leute: "Statt die Liberalen zu mobben, sollte man mit ihnen im Interesse des Landes zusammenarbeiten."

Morgen wird im Bundestag über den deutschen Beitrag zur Euro-Rettung entschieden. Dann besteht für Union und FDP die Gelegenheit zu beweisen, dass die Zusammenarbeit noch funktioniert.