Guido Westerwelle sind die Themen verloren gegangen. Die Partei steckt in einer prekären Lage. Der Blick richtet sich auf den Parteichef.

Berlin. Heute ist wieder ein Tag, an dem die FDP über ihren Schatten springen muss. Heute wird im Bundestag über den Milliarden schweren Euro-Rettungsschirm abgestimmt. Da werden einige Liberale die Zähne fest zusammenbeißen müssen, denn in der Fraktion ist der Unmut über den so angestoßenen "Zug in Richtung Transferunion" und "Weichwährungsgemeinschaft" groß. Die Stimmung hat sich auch nicht dadurch verbessert, dass die Union der FDP im Koalitionsausschuss ein Ja zur umstrittenen Finanztransaktionssteuer abgenötigt hat, die die Liberalen für reinen Aktionismus halten. Wie zürnte FDP-Generalsekretär Christian Lindner noch Anfang der Woche? Das Ganze sei nichts anderes als eine "Blendgranate".

Genützt hat das den Liberalen allerdings nichts - zur Beschwichtigung der Bürger beschloss der Koalitionsausschuss auf Geheiß der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, dass sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene für die Finanztransaktionssteuer einsetzen wird.

Was für eine Entwicklung. Vor ein paar Wochen hatte die Westerwelle-Partei noch geglaubt, der Union sagen zu können, wo es langgehen sollte. Wie hatte der schleswig-holsteinische FDP-Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki damals getönt? Nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl werde "Frau Merkel eine warme Winterjacke" brauchen. Dann werde man sich an keine "Schmusekursabsprachen" mehr halten. Dann würden "weitere Schritte" folgen. "Definitiv." Allerdings war der erste Schritt, der nach der Wahlpleite in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland folgte, die Absage der großen Steuerreform. Diese Absage habe ihm die Kanzlerin "zur Kenntnis gegeben", stellte FDP-Chef Guido Westerwelle in der Fraktion anschließend bitter fest.

Sieben Monate nach der Bundestagswahl sieht die FDP aus wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Ofen geholt hat. Und dem Vorsitzenden scheint das Vergnügen an der Politik deutlich abhanden gekommen zu sein. Im Herbst 2009, nach dem spektakulären 14,6-Prozent-Erfolg, hatte Westerwelle seine Partei bereits auf dem Weg zur "Volkspartei" gewähnt - in NRW landete seine FDP hart auf dem Boden der Tatsache. Bei 6,7 Prozent. "Wir haben die Botschaft verstanden", meinte Westerwelle zu diesem Absturz in der Wählergunst, der - darin waren sich alle politischen Beobachter einig - selbstverschuldet war. Wochenlang, nein, monatelang hatten sich die Liberalen in der Bundesregierung quasi wie eine Oppositionspartei aufgeführt. Mit ihren Maximalforderungen und ihrer Uneinsichtigkeit angesichts einer durch die Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise völlig veränderten Weltlage. Erst nach der NRW-Wahl schlug Westerwelle andere Töne an. Mit Blick auf die für Schwarz-Gelb weggebrochene Bundesratsmehrheit meinte er: "Wir müssen jetzt sehen, was geht."

Was geht, entscheidet jetzt allerdings erst einmal die Union. Hat Angela Merkel das Gebaren der FDP bis zur NRW-Wahl geduldet, um sich von den Liberalen anschließend nicht vorwerfen lassen zu müssen, ihnen das Ergebnis ruiniert zu haben, so ist der Schalter jetzt umgelegt. Die wichtigsten Projekte, mit denen sich die Liberalen in dieser Legislatur eigentlich profilieren wollten, sind inzwischen mehr oder weniger abgeräumt. Vorneweg die Steuerreform. Aber auch von der Neuausrichtung des Gesundheitswesens wird voraussichtlich nicht mehr übrig bleiben als eine kleine Kopfpauschale. Wenn überhaupt. Der dafür zuständige Minister Philipp Rösler wird in Unionskreisen inzwischen für seinen "Realitätssinn" gelobt. Vorstöße von Entwicklungsminister Dirk Niebel, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sind beim Koalitionspartner hingegen kaum Gesprächsthema.

Als Hauptverantwortlicher für die prekäre Lage, in die die FDP geraten ist, wird in der Partei Guido Westerwelle ausgemacht. Der Mann, der die FDP in der Opposition so erstaunlich groß gemacht hat und bislang keinen Schlüssel fand, diesen Erfolg in der Regierung zu konservieren. Als Vorsitzender trägt Westerwelle die Verantwortung für die thematische Verengung seiner Partei.

Die Frage ist also tatsächlich, was jetzt noch geht. Womit die FDP die kommenden dreieinhalb Jahre in der schwarz-gelben Koalition bestreiten will. Von Westerwelle war dazu bisher noch nichts zu hören. Und sein neuer Generalsekretär Christian Lindner, auf den viele Liberale ihre Hoffnungen richten, ist momentan noch wie ein Nebelschwimmer unterwegs. Eine "soziale, ökologische, zuhörende FDP" stellt sich der junge Intellektuelle vor. Also einen neuen Liberalismus, der jetzt zu definieren wäre. Dabei ist der Parteispitze klar, dass dieser Weg lang und steinig sein wird. Die Blicke richten sich auf den angeschlagenen Parteichef. Wird Westerwelle die Kraft haben, die FDP gemeinsam mit Hoffnungsträgern wie Lindner und Rösler neu zu erfinden?