Beim EU-Gipfel zur Ukraine-Krise einigen sich die Staats- und Regierungschefs auf Nadelstiche gegenüber Russland. Krim-Parlament für Abspaltung

Dublin/Brüssel. In der Europäischen Union wächst die Sorge, dass Moskau nach der Krim auch die Ostukraine zu destabilisieren versucht und auf eine mögliche Spaltung der Ukraine hinarbeitet. Die ukrainische Regierung hat offenbar „Zersetzungsbemühungen“ im Ostteil des Landes festgestellt, wozu auch die Einnahme mehrerer Regionalverwaltungen durch prorussische Kräfte gehört. Brüssel hat darauf jetzt reagiert. Die Staats- und Regierungschefs haben bei ihrem Sondergipfel in Brüssel erste Strafmaßnahmen gegen Russland verhängt. Die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen sowie über das neue Grundlagenabkommen werden ausgesetzt, teilte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy mit. Weitere, härtere Sanktionen seien in dem Drei-Stufen-Schritt angedacht, sagte er.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Brüssel, wenn Russland weiter Destabilisierungsmaßnahmen wie militärische Aktionen auf der ukrainischen Halbinsel Krim unternehme, werde es zu einer weitreichenden Veränderung der Beziehung zu Russland kommen. Das könne wirtschaftliche Konsequenzen bedeuten. „Wir wünschen uns das nicht“, betonte Merkel. Auf Nachfrage wollte sie die möglichen wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Russland nicht konkretisieren.

Van Rompuy erläuterte, die EU erwäge Einreiseverbote und Kontensperrungen, falls Moskau sich weiterhin Gesprächen mit den ukrainischen Behörden verweigere. „Weitere Schritte zur Destabilisierung hätten enorme Konsequenzen, die auch eine große Bandbreite an Wirtschaftssanktionen umfassen könnten“, ergänzte er. Zudem droht die EU damit, den nächsten geplanten Gipfel mit Russland abzusagen.

Schnelle Hilfe gegen den drohenden Staatsbankrott der Ukraine und dosierter Druck auf Russland – das ist die Strategie der Europäischen Union für die nächsten Tage. Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versucht, einen Mittelweg zu finden zwischen Strafmaßnahmen und Dialog mit Moskau.

Die Sanktionsschritte sollen pieksen, aber nicht wehtun, sie sollen sanft Druck ausüben, ohne zu schaden. Die mit Russland ausgesetzten Verhandlungen stocken seit Jahren, in der Praxis werden diese Sanktionen wenig ändern. Gleichwohl ist Moskau insbesondere interessiert an Visum-Freiheit für die Inhaber von sogenannten Dienstpässen, also hohen russischen Beamten.

Die Schritte gelten als ein Kompromiss, mühsam erarbeitet in der Brüsseler Konsensmaschine. Politisch dürften sie wenig ausrichten – jedenfalls nicht in Moskau. Aber sie sind wichtig für die Europäische Union, wo sich seit Wochen zwei Lager bilden. Vor allem die baltischen Staaten, die als ehemalige Sowjetrepubliken die Vorgänge auf der Krim mit großer Nervosität verfolgen, und Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn drücken aufs Gaspedal und verlangen harte Schritte gegen Moskau. „Heute sehe ich keine rasche Reaktion Europas“, sagte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskeite zu Beginn des EU-Sondergipfels enttäuscht. „Europa versteht immer noch nicht, was passiert. Wir müssen verstehen, dass Russland gefährlich ist.“ Eine Mehrheit der EU-Länder um Deutschland, Frankreich und Italien will dagegen, so jedenfalls Frankreichs Präsident Francçois Hollande, „einen Weg für einen Dialog“ eröffnen. Ihr Ziel ist es, möglichst schnell eine Ukraine-Kontaktgruppe auf die Beine zu stellen. Bisher steht Russlands Präsident Wladimir Putin dieser Idee reserviert gegenüber, aber abgelehnt hat er sie nicht.

Merkel weiß auch, dass Sanktionen für den neuen ukrainischen Premierminister Arseni Jazenjuk nicht im Vordergrund stehen. Er fürchtet, dass Sanktionen kontraproduktiv sein und dazu führen könnten, dass Russland etwa seine Grenzen zur Ukraine schließt, der bilaterale Handel zum Erliegen kommt und die Gräben zwischen den beiden Nachbarländern noch tiefer werden.

Harte Sanktionen wie Einreiseverbote und Kontensperrungen, wie die USA und einige osteuropäische EU-Länder sie fordern, sind umstritten. Diplomaten fürchten, direkte Sanktionen gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und führende Politiker könnten „Gesprächskanäle zuschütten“, die dringend gebraucht würden. Diese Position wird vor allem von Berlin vertreten. Auch zu Wirtschaftssanktionen dürfte es vorerst nicht kommen, Aus- oder Einfuhrverbote wären zum Schaden beider Wirtschaftsräume. Auf der anderen Seite schließen sie nicht aus, dass härtere Strafmaßnahmen bald kommen könnten. Sanktionen müssen von allen 28 EU-Mitgliedsländern einstimmig beschlossen werden.

Auf welcher Seite Europa sich sieht, ist hingegen klar. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen am Donnerstag ein Hilfspaket, das EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso tags zuvor angekündigt hatte. Nun müssen die Finanzminister die Gelder freigeben. Mit elf Milliarden Euro, die sich aus Krediten, Garantien und Investitionen zusammensetzen, soll der drohende Staatsbankrott der Ukraine abgewendet werden. Jazenjuk machte bei seinem Besuch am Donnerstag in Brüssel allerdings klar, dass er höhere Milliardenbeträge „schnell“ brauche. Brüssel ist aber womöglich nicht in der Lage, kurzfristig hohe Milliardenbeträge aus dem EU-Haushalt bereitzustellen. Damit steigt der Druck auf die einzelnen EU-Mitgliedsländer und Drittstaaten wie die USA, schnelle bilaterale Milliardenhilfen zu geben.

Jazenjuk machte bei seinem Treffen mit den EU-Staats- und Regierungschefs auch klar, dass er den Beschluss des Krim-Parlaments für den Anschluss an Russland als ungültig einstufe. „Dieses sogenannte Referendum hat keinerlei rechtliche Grundlage“, sagte er. Die Entscheidung des Krim-Parlaments soll am 16. März durch eine Volksabstimmung bestätigt werden. Die Europäische Union teilte mit, sie werde das Referendum nicht anerkennen. Es sei illegal nach ukrainischem und internationalem Recht. Die gleiche Kritik äußerte US-Präsident Barack Obama.