Der Vizekanzler trifft in Moskau den russischen Präsidenten. Berlin hofft auf Entspannung

Moskau. Sigmar Gabriel sieht seinem mächtigen Gesprächspartner mit dem Rücken zur Wand in die blauen Augen. Wladimir Putin, der um 13.29 Uhr im dunklen Anzug von einem Nebenzimmer aus den Raum betritt, beherrscht auch in Krisenzeiten die hohe Kunst der Diplomatie aus dem Effeff. Der Vizekanzler bekommt jenen Platz an dem ovalen Edelholz-Tisch zugewiesen, von dem er durch die Fenster auf das weitläufige Gelände der Residenz Nowo Ogarjowo nahe Moskau schauen kann. Dafür hat der Stuhl des Präsidenten als Einziger breite Armlehnen.

Die meiste Zeit in den folgenden 60 Minuten wird deutsch gesprochen, wie Eingeweihte berichten. Das ist schlecht für Putins Wirtschaftsberater Juri Uschakow, dem so weite Teile des als sehr offen beschriebenen Gesprächs verborgen bleiben. Gabriel und Putin kannten sich vor diesem Donnerstag nur flüchtig. 2004 lief der heutige SPD-Vorsitzende dem Kremlchef in Hannover bei der großen Feier zum 60. Geburtstag des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder über den Weg. Ein paar Jahre später sah man sich bei deutsch-russischen Konsultationen in Wiesbaden wieder. Gabriel war damals Umweltminister. Vor seiner Reise nach Moskau erkundigte er sich noch mal bei Schröder, was für ein Mensch dieser Putin denn sei. Oft war die große Nähe des Altkanzlers zu Putin für die Sozialdemokraten eine große Belastung, dieses Mal könnte es geholfen haben.

Bahnbrechendes kommt bei dem Treffen nicht heraus. Das war auch nicht erwartet worden. Bei der von Berlin und seinen Verbündeten geforderten Kontaktgruppe für die Ukraine sagte Putin weder Ja noch Nein. Einig ist man sich, eine weitere Eskalation zu vermeiden – umso enttäuschter muss die Bundesregierung dann zur Kenntnis nehmen, dass das moskautreue Krim-Parlament das Referendum über den künftigen Status der ukrainischen Halbinsel vorziehen will. Das wird in Berlin nicht als Entspannungssignal gewertet. „Wir sind kurz davor, Europa zurückzuwerfen in die Zeiten des Kalten Krieges“, sagte Gabriel dazu nach dem Treffen mit Putin.

Gabriel aber ist mit dem lange vor der Ukraine-Krise vereinbarten Termin mitten in der Weltpolitik gelandet. Während in Brüssel die Staats- und Regierungschefs über mögliche Sanktionen verhandelten, hielt sich der Vizekanzler in Moskau gewissermaßen in der Höhle des Löwen auf. Eine nicht alltägliche Herausforderung – auch für einen SPD-Chef, der sich viel zutraut. In seinem Umfeld wurde mit Bedacht darauf verwiesen, dass Gabriel auch auf ausdrücklichen Wunsch der Kanzlerin an dem Treffen mit Putin festhielt. Hätte Merkel nur mit der Wimper gezuckt, wäre Gabriel nicht gefahren. Keinesfalls sollte der Eindruck entstehen, der Vizekanzler presche in einem der heikelsten Momente der europäischen Außenpolitik seit dem Mauerfall mit einer eigenen Agenda vor und wolle gemeinsam mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier der Regierungschefin Merkel die Schau stehlen.

So waren sich alle einig, dass eine Absage der Reise als Provokation hätte missverstanden werden können. Die Bundesregierung, die in Europa den besten Draht zu Putin hat, will die Gesprächskanäle mit Moskau offenhalten. Das ist auch im Sinn der deutschen Wirtschaft. Sie fürchtet, von Putin hart abgestraft zu werden, wenn Europa Russland mit Sanktionen belegt. So hatte Gabriel eine lange Liste an Warnungen und Nöten deutscher Konzernchefs im Gepäck. Mehr als 6000 deutsche Unternehmen haben in Russland rund 20 Milliarden Euro an Direktinvestitionen im Feuer. Von diesem Geschäft hängen 300.000 Jobs in Deutschland ab.